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Wo ist Nombre?

Luxuswagen verschwinden auf einem Hof in ThüringenDie Angeklagten sagen gar nichts. Aber sie flüstern gern mit ihren AnwältenOffen bleibt vorallem die eine Frage:Wer ist dieser Nombre?

AUS ERFURT STEFAN RUWOLDT

Die Vorsitzende Richterin startet pünktlich. Sie spricht schnell, sie macht sich Notizen und sie quittiert das abwartende Schweigen im Saal mit einem „Gut, dann …“. Vier Verhandlungstermine hat sie für diesen Fall angesetzt. Ein straffer Zeitplan. Knapp eine halbe Stunde nach der Prozesseröffnung am Erfurter Landgericht hat der Staatsanwalt die zehn Anklagepunkte vorgetragen. Die Richterin notiert, lächelt, sagt noch einmal „Gut“. Dann ruft sie die erste Zeugin auf.

Weniger eifrig sind die Angeklagten. Sie sind zu fünft. Sie sehen niemanden an. Und sie schweigen. Manchmal beugen sie sich zu ihren Anwälten hinüber und flüstern. Aber selten. Die Anwälte überlegen dann. Doch wenn die Richterin sie anspricht, schütteln sie meist den Kopf: „Keine Fragen.“ Die Vorsitzende lächelt und bestellt die Anwälte für den nächsten Prozesstag zu sich. Zehn weitere Verhandlungstermine in den kommenden fünf Monaten diktiert sie den Kollegen.

Der Fall beginnt langsam Ausmaße anzunehmen. Denn weil die Angeklagten schweigen, müssen die Taten, die ihnen zur Last gelegt werden, rekonstruiert werden. So gut es geht.

Kriminaloberkommissarin Anja Baum rekonstruiert als Erste. Sie berichtet von Ermittlungen, Überwachungen und abgehörten Telefongesprächen. Vor etwa einem Jahr liefen die Drähte dafür im Landeskriminalamt zusammen. Bis dahin hatte es bundesweit einzelne Diebstähle luxuriöser Autos gegeben. Dann aber führten die Spuren in den 1.200-Einwohner-Ort Büßleben, einen Vorort von Erfurt.

Der Prozessgegenstand ist strafrechtlich herkömmlich: Handel mit geklauten Autos. Die Angeklagten aber – und die von der Polizei ermittelten Kanäle des Weiterverkaufs – machen den Fall so besonders. Außerordentlich gut ausgestattete Luxuswagen, darunter mehrere BMW X5, Grundpreis: 44.000 Euro, sowie Daimler-Chrysler-Modelle verschwanden auf einem kleinen Hof in Büßleben. Versteckt unter Reifen, alten Kühlschränken und Waschmaschinen sollen die Autos in Container verladen und nach Hamburg gebracht worden sein. Dort hat sie dann ein Kran auf Schiffe gehoben, die die Fracht ins westafrikanische Ghana transportierten. Dort wartete ein Verkäufer, der im Prozess immer nur mit seinem Nachnamen genannt wird: Nombre.

Zurück nach Deutschland führte die Spur des Geldes. Denn weil offenbar in Ghana und Büßleben ganz unterschiedliche Ansichten über Geldtransfer herrschten, gab es zunächst Gespräche. Dann gab es Anrufe. Später Drohungen und sogar gegenseitige Besuche. Die Spuren wurden breiter, und die Polizei bekam Wind. Sie hörte mit, sah zu. Dann nahm sie fest.

Kommissarin Baum wird an den ersten Prozesstagen ausführlich gehört. Im Winter 2005 hat sie im Landeskriminalamt den Fall übernommen. Zuvor war auf dem Grundstück von Karl-Heinz L. in Büßleben ein als gestohlen gemeldeter neuwertiger BMW X5 gefunden worden. Die Überwachungen ergaben, dass der nun angeklagte Abdul Latif K. sehr oft auf L.s Hof zu tun hatte. Baum beantragte die Überwachung des Handys von Abdul Latif K. und des Telefons von Karl-Heinz L. Wenig später tauchte auch Thomas H. auf. „Immer öfter“, sagt die Kommissarin. Auch sein Handy wurde abgehört.

Baum erzählt von ihren Ermittlungen, als lese sie ab. Doch sie spricht frei, überlegt und verweist, wenn sie etwas nicht genau weiß, auf die Akten. Als das erste Auto auf Karl-Heinz L.s Hof „sichergestellt wird“, verlagert sich der Schauplatz. Thomas H. mietet im dreißig Kilometer entfernten Oberreißen eine Halle an. Nun kommt auch sein Vater, Hartwig H., ins Gespräch. „Thomas H. sprach über seinen Vater immer als von dem ‚Großen‘, der ungeduldig werde“, berichtet die Kommissarin von den abgehörten Gesprächen. „Er sprach von Geld, das nicht kam. Oder er sagte: ‚Der Große ist stinksauer‘.“ Nach der Verhaftung von Abdul Latif K. im Mai 2005 habe dieser der Polizei dann den Geschäftspartner der H.s in Ghana genannt, um den es auch schon vorher oft ging: Nombre. „Das Problem hier war offenbar“, erklärt die Kommissarin, „dass Nombre nicht zahlte.“

Anhand der Telefonüberwachungen gehen die Beamten davon aus, dass in den letzten Jahren mindestens neun illegal erworbene Autos zu „Nombre“ verschifft wurden. Nach Auffassung der Ermittler wird Hartwig H. misstrauisch, dass er überwacht werden könnte. Und so fängt er an, bei Telefonaten mit seinem Sohn Thomas H. in Bildern zu sprechen, die die Ermittler säuberlich in ihren Protokollen festhalten. „Es war von einem Boot die Rede, von einem Zelt und von ‚zu Wasser lassen‘. ‚Pack das Frühstück ein und das blaue Zelt‘, sagte Hartwig H., als er sich in der angemieteten Halle in Oberreißen verabredete“, erklärt die Kommissarin.

Der Anwalt von Hartwig H. will nun wissen, ob die Ermittler überprüft hätten, ob die H.s nicht doch Wasser gemeint haben könnten. „Nun, es gibt in Oberreißen keinen See für Wassersport. Und so kamen wir zu dem Schluss, dass das Ganze auch nichts mit Wasser zu tun hatte“, erwidert die Kommissarin. Der Anwalt notiert ihre Antwort. Hartwig flüstert etwas. Die Richterin blickt den Angeklagten an und wartet. Hartwig H. blickt starr geradeaus. Er schweigt und will das auch allen zeigen.

Manchmal gerät die Verhandlung ins Stocken, denn Abdul Latif K. bekommt die Zeugenaussagen, die Fragen der Richterin, des Staatsanwalts und der Verteidiger übersetzt. Seine Anwältin hat öfter Fragen. Sie beugt sich hinüber, flüstert dem Übersetzer ins Ohr, der übersetzt es in Hausa, eine in West- und Zentralafrika verbreitet gesprochene Handelssprache. Dann warten alle Prozessbeteiligten, denn K. nimmt sich Zeit. Als er antwortet, lächelt die Verteidigerin ein wenig unsicher und wartet auf die Übersetzung. Dann lächelt sie erneut und schüttelt den Kopf. „Keine weiteren Fragen“, sagt sie. Der Anwalt von Thomas H. kneift die Augen zusammen, zieht selbstvergessen eine Schnute und nickt. Er hat es vorher gewusst, will er damit wohl sagen. Auch K. schweigt weiter.

Es ist die Taktik der sechs Anwälte, sämtliche Aussagen anzuzweifeln. Ihre Mandanten sagen nichts, gar nichts. Aber ihren Anwälten machen Thomas und Hartwig H. kleine Skizzen und Notizen. Sie flüstern flüsternd die Aussagen der Zeugen. Karl-Heinz L. geht auch äußerlich mit: Er zieht die Mundwinkel runter, schüttelt mit dem Kopf oder wirft sich grinsend zurück in seinen Stuhl. Doch er sagt nichts.

Die Zeugin Renate K. aus Büßleben etwa ist völlig verunsichert. Sie wohnt gegenüber von Karl-Heinz L.s Hof. Vor ihr hatte bereits ihr Sohn als Zeuge ausgesagt: „Ich kenne mich aus mit Autos, ich interessiere mich dafür“, hatte er erklärt. „VW Beetle“, antwortete er der Richterin, die ihn aufgefordert hatte, eines der im Hof in Container verpackten Autos zu beschreiben. Als seine Mutter am nächsten Prozesstag ebenfalls den „VW Beetle“ erwähnt, fordert Abdul Latif K.s Anwältin sie auf, einen zu beschreiben. „Ich kenne ’nen Beetle, ’nen neuen Käfer, das können Sie mir glauben“, sagt sie. Renate K. schüttelt den Kopf und breitet zögernd die Arme aus. Dann macht sie mit den Händen eine Rundung und rechts und links daneben je eine weitere Rundung. Die Anwältin nickt, tippt etwas in ihren Laptop und blickt kurz zu ihrem Mandanten. Doch Abdul Latif K. sieht sie nicht an. Er hat nichts zu sagen und will das allen zeigen. Auch seiner Anwältin.

Renate K. sagt aus, sie habe eines Tages bei der Polizei angerufen und dort gemeldet, dass auf dem Hof von Karl-Heinz L. verdächtige Autos verladen würden. Die Polizei kam – und zog schon bald wieder ab. „Was soll ich da sagen“, sagt Renate K. resigniert. Sie erklärt, dass sie den ganzen Tag arbeiten gehe und, wenn sie zu Hause sei, nur selten aus ihrem Fenster auf das Grundstück gegenüber schaue. Auf die Frage der Richterin, ob sie sich im Dorf mit jemandem über das, was auf dem Hof der L.s vor sich ging, unterhalten habe, antwortet sie brüsk: „Mit wem soll ich mich unterhalten?“ Es ist ein ruhiges Dorf, will sie sagen. Es wird nicht getratscht. Eher schweigt man.

Später allerdings räumt Renate K. ein, dass das ganze Dorf die Container habe sehen können. „Wenn da jemand fast neue Autos mit Reifen zupackt, macht man sich seine Gedanken“, antwortet sie auf die Nachfrage der Richterin: „Man muss doch nur Fernsehen kucken und weiß Bescheid.“

Eine zweite Zeugin aus dem Dorf erscheint an diesem Prozesstag nicht. Die Richterin teilt mit, die Frau habe bei der Polizei erklärt, bedroht worden zu sein. Sie wird erneut vorgeladen.

Am Ende des ersten Verhandlungstages wird noch Herbert-Jürgen Sch. vernommen. Er ist Mieter in Karl-Heinz L.s Haus in Büßleben, hat ihm, wie er sagt, „mehrfach geholfen“. Er setzt sich fast frontal mit dem Rücken zu den Angeklagten und begründet das mit der tief stehenden Sonne. „Zuerst dachte ich“, sagt Sch. über Karl-Heinz L., „der Herr L. ist jemand, wo man auf einer Wellenlänge schwimmen kann. Aber später gab es Differenzen.“ Er sei damals arbeitslos gewesen, und, ja, er kenne auch den schwarzen Herrn da, den Larry. Später fällt ihm der Name von Abdul Latif K. wieder ein und er entschuldigt sich: „Naja, auf dem Hof verkehrten noch andere dunkelhäutige Jungs. Der Herr L. hat ja immer gesagt, dass die ganzen Reifen auf dem Hof nach Afrika gehen sollten, da war mir das irgendwie logisch.“

Herbert-Jürgen Sch. fuhr Karl-Heinz L., der „in Ghana geschäftlich zu tun hatte“, einmal nach Hamburg zum Flughafen. Ein andermal holte er ihn dort ab. „Also der Herr L. sprach immer von Geschäften, die, wie ich sagen würde, ‚erfolglos angebahnt wurden‘ “, erklärt der Zeuge Sch. Da habe er schon gar nicht mehr richtig zugehört. “Aber Sie sind stundenlang mit ihm durch Deutschland zum Flughafen gefahren. Da wird er Ihnen doch erzählt haben, mit wem er sich trifft“, hakt die Richterin nach.

„Naja, er hat erzählt, dass da Leute zum Teil auf Händen gehen.“ Die Anwälte schütteln die Köpfe, die Angeklagten lachen. Die Richterin fragt: „Hat er denn erzählt, mit wem er sich in Ghana getroffen hat?“

Sch. scheint unsicher: „Er war bei irgendeinem Kapitän.“ Die Anwälte senken die Köpfe.

„Bei einem Kapitän?“, fragt die Richterin. Sch. zuckt mit den Schultern: „Ja, das hat er jedenfalls gesagt.“ Die Richterin fragt nach. Sie macht Sch. darauf aufmerksam, dass er die Pflicht habe, alles zu sagen, was er weiß. Sch. nickt. Er ist einsilbig, doch was er wisse, würde er auch sagen. „Wirklich“, versichert er.

Später erzählt er, dass er einen Wagen, in dem „alles gefunkelt und gepiepst hat, dass es eine reine Freude war“, in einen Container gefahren habe. Ein „Freundschaftsdienst“, wie er sagt, „weil der Herr L. – ein Quartalssäufer – zu besoffen war“.

Offen bleibt vor allem eine Frage: Wer ist Nombre? Staatsanwalt Beyer sagt: „Da laufen die Ermittlungen. Ich darf dazu nichts sagen.“ Und auf die Frage, wo Nombre sich aufhält, antwortet er: „Wenn ich das wüsste, hätten wir ihn schon. Aber auch dazu darf ich nichts weiter sagen.“

Fünf Verhandlungstage sind um. Die Angeklagten schweigen. Es geht um Autos, deutsche Luxuswagen. Es geht um Afrika. Auch Russen spielen eine Rolle. Zwei Dörfer in Thüringen und der Hamburger Hafen kommen sehr oft vor. Und Wassersport. Für mindestens drei weitere Monate.

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