: Die U1 als Freihandelszone
„Weg mit der U-Bahn, diesem Bollwerk gegen das subversive Potenzial!“ Endlich mal wieder eine Demo, bei der jeder weiß, worum es geht! Mittendrin bei „Xberg reloaded“ – bei drei Interventionen im öffentlichen Raum rund ums HAU
Da wo sonst die Junkies stehen (die schliefen morgens um 11 wohl noch gemütlich), wartete vergangenen Samstag plötzlich ein Grüppchen Studenten. Der Polizist fragte den ältesten, ob er „der Verantwortliche“ sei, gab diesem dann ein Handy. Damit sollte er dem „Lagezentrum“ selbst erklären, was hier los sei. Auf der Erde lagen derweil die Plakate mit durchgekreuzten U-1-Logos. „Weg mit der U-Bahn.“ Nieder mit der U-Bahn hätte hier noch besser gepasst.
Eine junge Frau verteilt derweil Flugblätter. „Die Mauer, die Kreuzberg in einen Nord- und einen Südteil trennt, muss weg. Selten wurde ein Bollwerk gegen das subversive Potenzial des Berliner Proletariats so dreist getarnt wie die U 1. Ein lügendes Wort: Untergrundbahn.“ Starker Tobak, das Lagezentrum sagte nicht Nein. Zwei weitere „Bullenwagen“ trafen ein, jetzt sogar richtige Wannen, voll besetzt. Die Demo mit 35 Leuten marschierte auf den Hochbahnhof zu. Aus Protest bestieg man den nächsten Zug „nach“ Görlitzer Bahnhof. Vorher beschimpfte man noch lautstark die U-Bahn Richtung Zoo. Ein Mann fragte verunsichert, was los sei. Theater sagte jemand, HAU.
Hinterm Görlitzer Bahnhof, unter der Hochbahn, entwich dann plötzlich die Kampfeslust. Es gab leckeren Obstler aus Basel, und ein Schweizer hatte extra für uns ein heißes Fondue im Topf. Die Stiele der Pappschilder stellten sich als Fondue-Stäbchen heraus. Die Polizei schaute neidisch aus den Fahrzeugen.
Der Schweizer erklärte, Kreuzberg sei in vielen Schritten durchkultiviert worden. Auch wenn das Hundekackeproblem noch nicht wie in der Schweiz gelöst sei. Zwei renitente Protestierer hielten weiter ihre U-1-Schilder hoch, alle anderen ließen sich „spalten“.
Weiter ging der Marsch in eine Wohnung in der Lübbener Straße. Hier wurde man von einer Frau mit Laptop im Treppenhaus nach dem Alter gefragt und nach der Lieblingsmusik. Im ersten Stock wurde man nett begrüßt. In einem Zimmer der Wohnung wurden Zeichnungen einer überdachten U 1 vorgestellt, die man sich in der Zukunft als Zollfreihandelszone und Shopping Mall zu denken habe. Spätestens jetzt bemerkte man, dass es sich bei den Initiatoren um Architekturstudenten der TU handelte. Auf Zetteln der LAK Corp. sollte man per Unterschrift seine Bürgerrechte abgeben. Irgendwie eine niedliche, aber anschauliche Methode, die Entwicklung eines Stadtbezirks nachzuzeichnen.
Eine zweite Aktion der Architekturstudenten zeigte den Interessierten die tollen Autowerkstätten in den Hinterhöfen der Obentrautstraße. In der Werkstatt von Auto-Kühn saß ein sächselnder Astrologe vor seinem Laptop. Er erstellte gerade ein Horoskop für ein Auto. Hinter ihm die aufgeklappte Motorhaube eines blauen Hyundai mit abgebrochener Stoßstange. Der Fahrer kam mit dem Wagen ganz gut zurecht, auch wenn es nur ein Ersatz für einen zerdepperten Mercedes war. „Das Auto ist Stier“, sagte der Astrologe. „Es hat viel Energie, der will es manchmal freien Lauf lassen. Es braucht seine Freiheit, will aber auch Zuneigung.“ Der Fahrer, selbst auch Stier, sagte, er fahre es manchmal richtig schnell auf der Autobahn, aber nicht sehr oft. „Sie müssen den Wagen mehr fordern, sonst verkümmert er.“ Würde das Auto einen Verkauf übel nehmen?“, fragte der Halter vorsichtig, als könne der Wagen mithören.
Eine Familie mit einem Krebs-Auto berichtete von der zerrütteten Beziehung zu ihrem Peugeot 205. „Da geht nicht mal der Kinderwagen rein.“ Der Wagen wurde fernhoroskopiert, per Fahrzeugbrief. „Der braucht mehr Zuneigung, sonst bekommt er Versagensängste.“ Dann kam auch noch eine Astrologin, die tatsächlich an den ganzen Schabernack glaubte und sich über die neuen Perspektiven für ihren Berufsstand freute.
So ging es also zu bei „Xberg reloaded“, den drei „Interventionen im öffentlichen Raum“ vergangenen Samstag rund um das HAU-Theater. ANDREAS BECKER
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