: Bürger sollen selbst Müllwerker spielen
Streik für 38,5 Stunden: Möllring und Bsirske verhandeln. Stadtwerke setzen Leiharbeitnehmer als Streikbrecher ein
BERLIN taz/dpa ■ An zuvor geheim gehaltenem Ort und zu geheim gehaltener Zeit trafen sich gestern in Berlin die Verhandlungsgegner von Gewerkschaften und Arbeitgebern, um über die Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst zu sprechen. Doch ein rasches Ergebnis ist nicht in Sicht. „Das dauert noch“, hieß es bei den Arbeitgebern.
Zum Spitzengespräch kamen unter anderen Ver.di-Chef Frank Bsirske und die Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) zusammen. Während Ver.di die von den Bundesländern geforderte Ausweitung der Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden auf mindestens 40 Stunden abwenden will, bestehen die Arbeitgeber auf einer Verlängerung. „Für uns muss die Wochenarbeitszeit mit einer 4 beginnen“, erklärte Ulrich Rieger, Geschäftsführer der TdL, im Gespräch mit der taz. Der niedersächsische Finanzminister und TdL-Chef Hartmut Möllring (CDU) hatte bereits betont, man brauche „Öffnungsklauseln in drei Bereichen“. Konkret nannte der CDU-Politiker dafür die Arbeitszeit, das Urlaubsgeld und das Weihnachtsgeld.
Die Länder möchten nicht nur die Arbeitszeit verlängern, sondern auch das Weihnachts- und Urlaubsgeld der Landesbeschäftigten kürzen. Öffnungsklauseln im Tarifvertrag würden bedeuten, dass künftig jedes Bundesland einzeln längere Arbeitszeiten und gekürzte Sonderzahlungen aushandeln könnte. Eine solche Dezentralisierung des Konflikts lehnt Ver.di ab – ohne dass Ver.di-Chef Frank Bsirske sich gestern schon konkret äußerte.
Während die Verhandlungsführer in Berlin miteinander palavern, greifen die vom Streik betroffenen Städte und Gemeinden Baden-Württembergs neuerdings zur Selbsthilfe. Mit Leiharbeitern und Notplänen versuchen sie den Ausstand bei der Müllabfuhr zu unterlaufen. In Freiburg leeren rund 100 eingesetzte Leiharbeiter die Mülltonnen nach Plan und reinigen die Straßen. „Wir haben mit dieser Vorgehensweise nur positive Erfahrungen gemacht“, sagte der Chef der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg GmbH (ASF), Michael Broglin.
Auch in Baden-Baden wurden die Mülltonnen trotz des Streiks geleert. In anderen Städten wurde den Bürgern geraten, die Müllsäcke selbst zu Sammelstellen der Stadtreinigung zu bringen. Mehr als 140.000 reißfeste Plastiksäcke wurden in der Landeshauptstadt von der Abfallwirtschaft Stuttgart verteilt.
Aufgrund des Konflikts um die Arbeitszeiten befinden sich seit zwei Wochen in einigen Bundesländern tausende von kommunal Beschäftigten, darunter besonders der Müllabfuhren, im Ausstand. Zudem streiken die Beschäftigten von Landesbetrieben, vor allem der Uni-Kliniken.
Da die Länder bisher den neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst ablehnen, gilt dort für die bisher schon Beschäftigten zwar noch der alte Tarifvertrag mit der 38,5-Stunden-Woche. Neu Eingestellte oder Beförderte müssen aber schon Arbeitszeiten von 40 Stunden oder gar mehr hinnehmen, da für sie keine tarifliche Regelung in Kraft ist. Auch das erhöht den Druck auf die Verhandlungsgegner, sich zu einigen.
BARBARA DRIBBUSCH
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