piwik no script img

Nichts für Sensibelchen

Die Einkommensdifferenz zwischen Männern und Frauen ist wieder größer geworden. Ein Grund dafür: der Trend zu längeren Arbeitszeiten und wachsender Konkurrenzdruck

Männer empfinden es nicht nur als Nachteil, erst nach Hause zu kommen, wenn die Kinder schon schlafen

Lange Zeit konnte man dem naiven Glauben anhängen, in einem relativ fortschrittlichen Land zu leben: einem Land etwa, in dem Frauen mit Erfolg für ihre Rechte kämpften und Männer gelegentlich den Abwasch machen oder, in Extremfällen, sogar Erziehungsurlaub nehmen. Gerade unter jüngeren Frauen war der Feminismus deshalb kein Thema mehr. Zwar verdienten Frauen tendenziell weniger als Männer, das war bekannt. Aber wenn man das konstatierte, ergänzte man den Satz automatisch mit dem Wörtchen „noch“. Doch in diese Illusion platzt nun die EU-Kommission hinein und meldet: Der Lohnabstand zwischen Frauen und Männern, er wächst wieder. Männer verdienen 23 Prozent mehr als Frauen. Vor fünf Jahren betrug der Abstand nicht ganz 20 Prozent.

Um Gottes willen, fragt man sich da: Werden wir Frauen von männlichen Brutalo-Chefs oder sinistren Männerseilschaften unterdrückt und geknechtet? An die gut bezahlten Führungspositionen lassen sie uns ja ohnehin nicht ran: Frauen haben bislang gerade mal vier Prozent der Posten auf der obersten Leitungsebene in Großunternehmen erobern können. Oder stellen wir uns bei den Gehaltsverhandlungen einfach zu blöd an? Wählen wir kollektiv die falsche Ausbildung und werden alle schlecht bezahlte Friseurinnen? Ach nee, wir kriegen Kinder und Karriere nicht unter einen Hut, hören wir von einer Ministerin mit siebenköpfiger Kinderschar.

Doch an diesen einfachen Erklärungen sind Zweifel angebracht. Erstens, die These von den unterdrückenden Männern: Ich habe selbst nie einen männlichen Chef und auch keine männlichen Kollegen getroffen, die mich aktiv an der Karriere gehindert hätten. Im Gegenteil, es gab eine ganze Menge, die mich aktiv gefördert haben. Damit will ich nicht sagen, dass es solche frauenfeindlichen Ehrgeizlinge nicht gibt. Aber sie sind wohl kaum so zahlreich, als dass sie als Erklärung für die wachsende Einkommenskluft zwischen Männern und Frauen dienen können. Zudem sind viele Unternehmen inzwischen auf den Geschmack gekommen, Frauen zu fördern, weil diese zum Beispiel über bestimmte Stärken bei der Teamarbeit verfügen und weil es so viele gut ausgebildete Männer gar nicht gibt.

Zweitens, die These von den falschen Ausbildungsentscheidungen: Tatsächlich sind Krankenschwestern und Bibliothekarinnen viel schlechter bezahlt als Mechaniker und Informatiker. Aber was sagt das über unsere gesellschaftlichen Werte? Will man uns ernsthaft erzählen, der richtige Weg zur Gleichberechtigung sei es, nur noch technische und wirtschaftswissenschaftliche Berufe zu erlernen, die Kranken- und Altenpflege irgendwelchen Einwanderern zu überlassen und die scheinbar unproduktiven öffentlichen Bibliotheken gleich ganz aufzulösen? Am Rande sei bemerkt, dass Frauen auch bei gleicher Qualifikation meist schlechter verdienen als ihre männlichen Kollegen.

Drittens, die These vom Kind-Karriere-Widerspruch: Sicher, Frauen, die um Punkt 16.15 Uhr mitten im Satz den Computer ausschalten müssen, um gerade noch rechtzeitig ihren Nachwuchs von der Straße zu retten, machen sich im Büroalltag nicht immer beliebt. (Und nicht viele Kindergärten haben überhaupt nur bis 16.30 Uhr geöffnet.) Männliche Kollegen müssen ihre Kinder komischerweise selten so früh abholen. Dennoch greift die Kinder-These zu kurz. Allein die Tatsache, dass die Kinderbetreuung in den letzten Jahren wenn schon nicht besser, so doch auch nicht schlechter geworden ist, macht sie als Erklärung für den gewachsenen Einkommensabstand zwischen Frauen und Männern untauglich. Auch dass in den USA der Staat noch weniger für die Kinder tut, die Frauen aber trotzdem häufiger berufstätig sind und auch in den obersten Leitungsgremien wesentlich zahlreicher anzutreffen sind als hierzulande, macht einen stutzig. Dennoch geht auch in den USA die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen wieder auf.

Man kann aber noch andere Vermutungen anstellen, woher dieser Trend rührt. Da muss ich nur mich selbst betrachten und meine Weigerung, eine karrierefördernde 50- bis 60-Stunden-Woche im Büro längerfristig zu akzeptieren (ehrlich, schon 40 Stunden sind für meinen Geschmack unanständig). Ich kann über Angestellte nur staunen, die sich fast ihre gesamte wache Zeit mit scheinbarer Begeisterung für die Profitmehrung irgendeines Unternehmens engagieren, das im Zweifel nur Ressourcen verschwendet. Selbst als Angestellte in einer Organisation zur Weltverbesserung hatte ich nach einiger Zeit im Büro genug vom Weltverbessern und wollte endlich meine Beziehung und mein übriges Privatleben, meine kulturellen Interessen und mein Lieblingshobby pflegen: morgens ausschlafen. Auch ohne Kinder eine schlechte Voraussetzung für eine steile Karriere.

Das scheint jedoch nicht nur mir so zu gehen: Da schmeißt die beste Chefin, die ich je hatte, nach nicht mal einem Jahr auf dem Posten alles hin, genervt von dem brutalen Druck und den regelmäßig bis tief in die Nacht reichenden Arbeitszeiten, um auf einen ruhigen Außenposten weit weg von der Zentrale zu wechseln. Ihre Vorgängerin hatte es kaum länger ausgehalten. Ihr hatten Kollegen und Kolleginnen gleichermaßen das Leben schwer gemacht, weil sie sie für zu ehrgeizig hielten.

Inzwischen sind dort lauter Männer in die Führungspositionen aufgestiegen, die ihren Job zwar schlechter machen, aber dennoch mehr verdienen, als es ihre Vorgängerinnen in ihren jetzigen Positionen vermutlich tun. Anscheinend sind viele Männer keine sozialen Sensibelchen, sondern mit einem praktischen dicken Fell ausgestattet. Und anscheinend empfinden viele von ihnen es trotz anders lautender Bekundungen auch nicht immer nur als Nachteil, wenn die lieben Kleinen schon friedlich schlafen, wenn sie nach Hause kommen.

Es gibt also einen ganz einfachen Weg, Frauen von den lukrativen Jobs fern zu halten: Das Arbeitsleben in den Bereichen, in denen sich gutes Geld verdienen lässt, muss nur so organisiert werden, dass die meisten Männer damit gerade noch leben können, die meisten Frauen es aber derart abstoßend finden, dass sie freiwillig das Handtuch werfen. Sollen die Männer doch ihre Leistungsgesellschaft unter sich ausmachen. Und mit 70 an Herzinfarkt sterben.

Nur vier Prozent aller Führungsposten sind von Frauen besetzt. In den USA sieht es da etwas besser aus

Damit kommen wir auch der Frage näher, warum der Einkommensunterschied wieder zunimmt: Könnte es sein, dass die im Zusammenhang mit den Globalisierungsproblemen vielfach beschriebene Tendenz zu mehr Druck am Arbeitsplatz und zu längeren Arbeitszeiten etwas damit zu tun hat? Die Arbeitsplätze werden unsicherer, und man muss härter kämpfen, um sich an seinem Stuhl festzuhalten. Zeit fürs Zwischenmenschliche bleibt immer weniger.

Da kann man jede Frau verstehen, die – bestens informiert über die angebliche Unvereinbarkeit von Familie und Beruf in diesem Land – sich für ein Leben entscheidet nach dem Muster: Kinder statt Karriere.

NICOLA LIEBERT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen