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Suche nach Freundlichkeit

Ganz „Deutschland rollt den roten Teppich aus“, wenn’s nach den Machern der „Nationalen Service- und Freundlichkeitskampagne“ geht. Denn zur WM soll die Welt nicht zu Gast bei Miesepetern sein

VON FRANZISKA BEYER UND CHRISTIAN MEYER

„So ’ne kurze Strecke fahr ich nicht.“ „Haben Sie es nicht passend?“ „Das ist hier keine Bücherei.“ Am Bahnhof ein Taxi zum nächsten Hotel finden, an der Supermarktkasse mit einem großen Schein bezahlen, im Zeitschriftenladen in einem Magazin blättern, unhöfliche Reaktionen sind von Hamburg bis München nichts Ungewöhnliches.

Deutschland hat den Ruf einer Servicewüste. Das hat selbst das Organisationskomitee für die Fußball-WM erkannt und will dagegen mit der „Nationalen Service- und Freundlichkeitskampagne“ vorgehen.

„Jeder soll sich fragen, was er dazu beitragen kann, dass Deutschland ein freundliches Gastgeberland ist“, sagt ausgerechnet der stets mies dreinschauende Michael Glos.

Er stand gestern als Minister für Wirtschaft und Technologie zusammen mit Franz Beckenbauer auf der Bühne und unterstützte auf einer Pressekonferenz im Berliner Adlon-Hotel die Kampagne. Dabei war er sichtlich bemüht, freundlich zu lächeln. Dazu hat ihn, nach eigener Aussage, seine Frau aufgefordert. Außerdem bezahlt sein Ministerium die Initiative und damit auch die Konferenz.

„Die WM ist legales Doping für den Fremdenverkehr“, sagt Glos und grinst. Neben ihm und Beckenbauer wollen auf der Veranstaltung Klaus Laepple, Fedor Radmann und Petra Hedorfer als Vertreter der Tourismusbranche für mehr Service in Deutschland werben.

„Nationale Service- und Freundlichkeitskampagne“, das klingt eher nach Staatsempfang in Nordkorea als nach Gastfreundschaft in Deutschland. Trotzdem: Das WM-Komitee und die Deutsche Zentrale für Tourismus wollen mit mehreren Projekten dafür sorgen, dass „Die Welt zu Gast bei Freunden“ ist, damit das WM-Motto nicht nur ein frommer Wunsch bleibt.

Das soll auf zwei Ebenen geschehen. Mit einem Schulungshandbuch soll Servicepersonal, zum Beispiel bei der Bahn, in mittelständischen Betrieben und in Hotels, fit gemacht werden, um den Gästen aus aller Welt die freundlichsten vier Wochen in der deutschen Tourismusgeschichte zu bescheren. Die Krönung dabei dürfte ein Wettbewerb unter dem Motto „Deutschland sucht den Servicechamp“ sein.

Aber nicht nur die Dienstleister sollen gute Miene zum Fußballspiel machen. Ein Plakat und ein Werbefilm sollen auch der Bevölkerung das Lächeln aufs Gesicht zaubern. Das Motto dabei ist „Deutschland rollt den roten Teppich aus“: Franz Beckenbauer, ein paar Seifenoper-Sternchen und jede Menge lieb lächelnde Durchschnittsbürger rollen kleine rote Filzbeläge vor sich über den Boden. Am Ende entsteht die Silhouette von Deutschland.

Sogar ein kleiner Soldat hat es auf das große Plakat geschafft, und das, obwohl die Bundeswehr nicht für Sicherheitsaufgaben eingesetzt werden soll. Die staatliche Servicekraft in Tarnfarben steht ungefähr auf Höhe des WM-Stadions Hannover. Die „Nationale Service- und Freundlichkeits-Kampagne“ soll nicht nur die WM-Besucher zu glücklichen Gästen machen, sondern auch den Tourismusstandort Deutschland weiter nach vorne bringen. „Wir spielen touristisch in der Champions League“, sagt Glos, der laut eigener Aussage wenig Ahnung von Fußball hat. Durch die WM soll das Image vom unfreundlichen Deutschen nachhaltig verbessert werden.

Klaus Laepple, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft, fügt hinzu, dass man Deutschland als Reiseland bekannt machen könne, weil „Milliarden uns am Fernseher verfolgen“. Die Zuschauer sollen demnach anscheinend weniger auf den Ball als auf das Lächeln der Gastgeber achten.

„Man denkt mit Recht, dass Deutschland gut organisieren kann“, sagt Fedor Radmann, Tourismusbeauftragter des WM-Komitees. „Aber es ist nicht unser Ziel, perfekt zu sein, sondern ein herzliches Gastgeberland – und zu überraschen.“ Auf der einen Seite kickt Deutschland also in der Champions League des Tourismus, auf der anderen fehlt aber mit der Gastfreundlichkeit das entscheidende Kriterium, um in dieser Liga dabei zu sein. Freundlichkeit der Deutschen als Überraschung, eigentlich ein trauriges Eingeständnis. Ob ein Plakat und ein 50-sekündiger Werbespot aus einer Nation von angeblich notorischen Miesepetern einen Gastgeber der Herzen machen, wird sich zeigen.

Michael Glos glaubt anscheinend fest an den Erfolg der Kampagne und die gute Stimmung in der Bevölkerung. Dabei fürchtet er laut seinen Aussagen auch nicht, dass der Mangel an WM-Karten die Deutschen in ihrer Euphorie bremst: „Ich finde, dass man die WM auch toll erleben kann, ohne dass man ein Ticket ergattert hat.“ Er hat gut reden, schließlich kann er laut Medienberichten für jedes der 64 Spiele zwei „ergattern“.

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