: Tänzer suchen Dach überm Kopf
KULTUR Die Berliner Tanzszene ist lebendig, das zeigen zwei aktuelle Festivals. Doch die Situation hiesiger Compagnien ist höchst prekär. Mehr Geld und ein eigenes Haus fordern nun immer mehr Künstler
■ Tanz im August (16. bis 31. August) ist das größte Tanzfestival der Stadt. Seit seiner Gründung vor 25 Jahren hat es zur Internationalisierung der Berliner Tanzszene beigetragen. Höhepunkte sind diesmal die Trisha Brown Dance Company aus New York, die das Stück „Early Works“ im Hamburger Bahnhof zeigt, die Company von Emanuel Gat aus Frankreich, die sich im Haus der Berliner Festspiele mit einer Radiocollage von Glenn Gould befasst und der Auftritt von Bruno Beltraos Grupa de Rua in der Volksbühne. Mehr Infos unter www.tanzimaugust.de.
■ Das Festival Ausufern (29. August bis 1. September) findet erstmals statt und wird von der Tanzfabrik, den Weddinger Uferstudios und dem Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz organisiert. Es zeigt mit mehr als 40 Beiträgen fertige Stücke und Arbeitsprojekte sowohl von Choreografen, die schon lange in Berlin arbeiten, als auch von Nachwuchskräften (siehe Porträt). Gefeiert wird damit das 35-jährige Bestehen der Tanzfabrik, einem Zentrum für zeitgenössischen Tanz. Gespielt wird in den vierzehn Studios und dem Hof der Uferstudios, aber auch in Geschäften. Programm unter www.uferstudios.com. (kbm)
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Noch drei Abende lang hetzen sie durch den Müggelwald, werfen sich in den Dreck, verstecken und bekämpfen sich: Die beinahe 30 Tänzer aus Constanza Macras’ Stück „Forest: The Nature of Crisis“. In den Märchen, die Macras erzählen lässt, treibt die ökonomische Krise Europas die Menschen in die Wälder: Verarmte, Kannibalen und geschasste Machthaber. Ein Bild der Heimatlosigkeit, des gefährlichen Lebens, der irrationalen Wege entsteht so – und damit eigentlich ein ganz passendes Bild für die prekären Bedingungen, unter denen der Tanz in Berlin existiert.
Braucht Berlin ein eigenes Haus für den Tanz? Nele Hertling, die vor 25 Jahren das internationale Festival Tanz im August gegründet und jahrzehntelang für eine Stärkung des Tanzes in Berlin gekämpft hat, fordert es seit Langem. Es wäre doch endlich mal eine mutige politische Entscheidung, eines der großen Theater von Berlin dem Tanz zu geben, sagt auch Bettina Masuch, die aktuelle Leiterin des am Freitag eröffneten Festivals, im taz-Interview (Seite 44/45).
Mehr Anerkennung
Dabei geht es nicht allein darum, dem Tanz eine größere Aufmerksamkeit zu verleihen, als ihm bislang an den vielen verstreuten Spielorten in der Stadt zukommt. Sondern es geht um größere Anerkennung des Tanzes und mehr strukturelle Sicherheit für seine Künstler. Denn anders als Theater, Oper und Musik spielt sich der Tanz in Berlin noch immer, auch nach einer 20-jährigen Erfolgsgeschichte, in der Freien Szene ab. Deren Raum ist in den letzten Jahrzehnten zwar enorm gewachsen – aber vielfach abhängig von Förderungen, um die sich die Gruppen immer wieder aufs Neue bewerben müssen. Kontinuierliche Weiterentwicklung ist da selten möglich. Und das liegt auch an mangelnder Entscheidungskraft auf Seiten des Kultursenators und Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit (SPD).
Dabei gibt es durchaus viel, was Berlin auf der Habenseite des Tanzes verbuchen kann. Mit den Ensembles von Sasha Waltz & Guests und von Constanza Macras’ Dorky Park haben zwei international gefragte Compagnien, ästhetisch und inhaltlich reich, ihren Arbeitsschwerpunkt in Berlin. Macras hat gerade das eingangs erwähnte „Forest: The Nature of Crisis“ in Koproduktion mit der Schaubühne herausgebracht; Sasha Waltz arbeitet an der Premiere von drei Ballettklassikern, unter anderem „Sacre du printemps“, die sie mit ihren Tänzern im Oktober in der Staatsoper herausbringt.
Genaue Zahlen, wie viele Choreografen es darüber hinaus in Berlin gibt, liegen nicht vor. Aber allein an der Tanzfabrik, die in Kreuzberg und in den Uferstudios im Wedding Probenräume anbietet, arbeiten rund 200 Choreografen im Jahr. In den Uferstudios werden zudem seit 2010 die ersten Studiengänge des HZT (Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz) angeboten. Sehr lange hat die Tanzszene um diese Ausbildungsstätte für Tänzer und Choreographen gekämpft, die schließlich mit Unterstützung der Bundeskulturstiftung auf den Weg gebracht wurde.
Auf der Habenseite verbucht die Stadt außerdem, so stand es in einer Antwort des Abgeordnetenhauses auf die kleine Anfrage „Wo ist das Konzept für den Tanz in Berlin?“, die die Grünen im März stellten, dass sowohl das Festival Tanz im August als auch Sasha Waltz Regelförderung aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds bekommen.
Doch obwohl Sasha Waltz & Guests auch die einzige Compagnie ist, die fest im Landeshaushalt steht, schlug die Choreografin im Februar dieses Jahres Alarm – denn seit Jahren ist die Existenzsicherung der Compagnie schwierig. Zu einer Absicherung, etwa durch eine Institutionalisierung und mit einem eigenen Haus, konnte sich der Kultursenator und Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), nicht durchringen. Auch nicht, Sasha Waltz eine Leitungsposition beim Staatsballett anzubieten, die im Februar neu besetzt wurde. Als Choreografin und Regisseurin hat Waltz viele Angebote; wichtiger aber als eine solche Karriere wäre ihr, das Repertoire der Compagnie mehr aufführen zu können, woran zweifelsohne auch dem Berliner Tanzpublikum sehr gelegen wäre. Allein Aufführungen kosten mehr, als sie einspielen können, und das kann sich die Compagnie nicht leisten.
Die Koalition Freie Szene
An diesem Problem leiden auch viele andere Tänzer und Choreografen. Auch wenn ein Stück besonders gut gelungen ist, einen Nerv getroffen hat, müssen für die Wiederaufführung erst neue Partner gefunden werden. In einem 10 Punkte-Programm, das die Koalition Freie Szene entworfen hat – ein Zusammenschluss vieler freier Gruppen – ist ein Vorschlag deshalb die Einführung eines Fördertopfes für Wiederaufnahmen.
Gebildet hat sich die Koalition Freie Szene vor allem, um auf die unzureichende Bezahlung von darstellenden Künstlern selbst in geförderten Projekten hinzuweisen. Der Stundenlohn liegt oft zwischen 3 und 5 Euro, das betrifft auch die meisten Tänzer. Die Chancen dafür, dass sich daran etwas ändert, sind mit dem Entwurf für den Doppelhaushalt 2014/15, der diesen Monat von den Berliner Abgeordneten diskutiert wird und im September beschlossen werden soll, nicht gestiegen. Denn für die Freie Szene sind keine Mehrausgaben vorgesehen.
Wenn beim Festival Tanz im August Gastspiele aus dem Kongo, aus Südafrika, New York, Brasilien und Frankreich auf der Bühne stehen, wird deshalb hinter den Kulissen ein Kampf darum geführt, dass Tänzer und Choreografen aus Berlin von ihrer künstlerischen Arbeit leben können. In Einzelgesprächen mit Abgeordneten wollen der Landesverband freie darstellende Künste Berlin und die Koalition Freie Szene die Politiker für das Thema der Honoraruntergrenzen sensibilisieren.
In Constanza Macras’ Geschichten von den Tücken des Kapitalismus geht oft die Lust an der Spekulation, am Aufstieg durch Tricks dem Absturz der Menschen in die Obdachlosigkeit voraus. Dass viele Tänzer am Existenzminimum leben müssen, hat hingegen nichts mit diesem Treiben zu tun.
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