: Wiedergeburt an der Hafenkante
Seit 1925 steht unter der Eisenbahnbrücke an den Deichtorhallen ein ganz besonderes Schmuckstück: Die Oberhafenkantine. Die ehemalige Kaffeeklappe war seit Jahren vom Einsturz bedroht. Im April wird sie als Edelimbiss neu eröffnet
von OLIVER WASSE
Der Schritt über die Schwelle führt in eine andere Zeit. Einen kurzen Moment innehalten, um das Gleichgewicht wiederzufinden, dann ist man drin: in der Oberhafenkantine an den Deichtorhallen. Und blickt auf 81 Jahre Geschichte. Jahre, die Spuren hinterlassen haben. Denn das kleinste unter Denkmalschutz stehende Gebäude im Hafen hat im Laufe der Zeit ein wenig Schieflage bekommen. Und nicht nur das: Seit 1997 herrscht chronische Einsturzgefahr.
Zeitgleich mit dem Chilehaus in der südlichen Altstadt wurde die Oberhafenkantine 1925 im Stil des norddeutschen Klinkerexpressionismus errichtet. Bauherr Hermann Sparr übernahm damals die Bewirtung. Bis 1997 war die Oberhafenkantine Hauptziel für hungrige und kaffeedurstige Hafenarbeiter.
In ihren letzten Jahren jedoch mutierte die Gaststätte zur Kultkneipe. Bei Wirtin Anita Haendel kamen immer mehr jüngere Menschen zu später Stunde, vor allem Künstler, die sich Inspiration erhofften. Als Haendel 1997 starb, wurde die Oberhafenkantine vorerst geschlossen und die Behörde stellte akute Einsturzgefahr fest. Der Unternehmer Klausmartin Kretschmer – unter anderem Eigner der Roten Flora – hatte sie damals bereits übernommen.
Nun liegt das alte Backsteinhäuschen in den Händen von Christa Mälzer. Die Mutter des bekannten Fernsehkochs will daraus ein Schnellrestaurant machen. Ein Imbiss? „Wir bleiben bei dem Namen ‚Oberhafenkantine‘. Aber es wird kein ‚Fine-Dining‘ geben, sondern einfaches, bodenfestes Essen“, sagt die 57-jährige. Mälzers Leidenschaft für das Haus entstand bereits Mitte der Achtziger Jahre. Es sei ihr damals skurril und zugleich „unwahrscheinlich schön“ vorgekommen. „Und es duftete nach Gurkensalat, wie ich es sonst nur von meiner Oma kannte“, erzählt die künftige Wirtin. Schon seit ihrem ersten Besuch zerbrach sie sich den Kopf über die Oberhafenkantine.
Nach der vorläufigen Schließung 1997 gab es viele Pläne und Spekulationen. Erst hieß es, das Gebäude müsse aufgrund der zu hohen Sanierungskosten abgerissen werden. Dann plante die Bahn, den Brückenabschnitt über der Hafenkantine zu verbreitern. Dafür hätte das Denkmal umgesetzt werden müssen. Erst im Februar dieses Jahres wurde entschieden, das Gebäude dort zu lassen, wo es ist.
Der Anstoß, die Zukunft der Hafenkantine in die Hand zu nehmen, kam ursprünglich von Sohnemann Tim. Ursprünglich wollte die gelernte Kauffrau ihr Restaurant bereits am 22. Januar eröffnen – Tims Geburtstag. Doch der lange Winter durchkreuzte ihre Pläne. Das neue Fundament konnte nicht in den gefrorenen Boden gebracht werden. Natürlich ist sie ein bisschen ungeduldig, aber sie freut sich auf den Tag, „wenn die ersten Frikadellen in der Pfanne brutzeln.“
Frikadellen, Kartoffelsalat, Eintöpfe und ein täglich wechselndes Mittagsgericht will „Mama Mälzer“ in ihrem neuen Schnellrestaurant anbieten. Um an die alte Tradition von Anita Haendel anzuknüpfen, möchte sie den Freitag zum „Fischtag“ machen und Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit sind, bereits morgens ab sechs Uhr mit Brötchen und Kaffee versorgen. Im Gastraum sollen etwa 25 Gäste Platz finden, im Obergeschoss plant sie einen Klubraum. Die Küche im Keller mit ihren bunten Kacheln ist der farbenfroheste Raum des Hauses. Damit will Mälzer ihrem Personal das fehlende Tageslicht ersetzen. Eine Rarität in der Oberhafenkantine ist der kurbelbetriebene Speisenaufzug, der mit dem Fuß bedient wird.
Von dem Bekanntheitsgrad ihres Nachnamens verspricht sich Mälzer durchaus einen Vorteil: „Ich habe bewusst noch nichts ins Internet gestellt. Ich möchte nicht so ein Theater haben wie im ‚Weißen Haus.‘“ Das „Weiße Haus“ ist das Restaurant am Museumshafen, in dem ihr Sohn kocht. Weil hier aus ganz Deutschland Reservierungen en masse eingehen, ist es immer für Monate im Voraus komplett ausgebucht. Tim wird wohl auch in der Oberhafenkantine hin und wieder am Herd stehen, doch generell „wird er sich eher bedienen lassen“, sagt Christa Mälzer. Wenn er dann satt und zufrieden das Backsteinhäuschen verlässt, wird er sicherlich einen Moment brauchen, um sich wieder an die Gegenwart zu gewöhnen.
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