: Die Drohkulisse steht
SYRIEN-KRIEG Iran warnt USA: Militärschlag gegen Assad werde im Nahen Osten zu einer „Katastrophe ohne absehbares Ende“ führen – mit Gefahr für Israel. UN fordert mehr Zeit
UN-GENERALSEKRETÄR BAN KI MOON
BERLIN taz | Der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei hat am Mittwoch eindringlich vor einem US-Militäreinsatz in Syrien gewarnt. „Die Region ist wie ein Pulverfass“, sagte Chamenei im staatlichen Fernsehen. „Eine amerikanische Militärintervention in Syrien würde daher zu einer Katastrophe ohne absehbares Ende führen.“ Parlamentspräsident Ali Laridschani erklärte, ein Angriff auf Syrien würde auch Israel bedrohen: „Wir warnen den Westen: Im Falle eines Krieges in Syrien sollten sie sich auch um ihr illegitimes Kind [Israel] in der Region große Sorgen machen.“
Laridschani warf dem Westen vor, mit der geplanten militärischen Reaktion auf Giftgaseinsätze in Syrien das internationale Recht zu ignorieren. Der Westen solle sich bewusst sein, dass er zwar über den Beginn einer militärischen Operation selbst entscheiden könne, „nicht aber über deren Ende“. Führende iranische Politiker drohten nicht mit einem eigenen Angriff auf Israel, sondern äußerten die Möglichkeit, dass Syrien im Fall einer Militäraktion der USA Israel angreifen könnte.
Abgesehen von Anschlägen im Ausland oder der Unterstützung von Gruppen wie der libanesischen Hisbollah hat der Iran frühere Drohungen, wie die Sperrung der Straße von Hormus, nicht bisher umgesetzt. Ohnehin ist der Libanon vermutlich das Land, in dem sich die Folgen eines Angriffs auf Syrien als Erstes zeigen werden.
Als Vorsichtsmaßnahme ordnete die israelische Regierung eine Teilmobilmachung seiner Reservisten an. Betroffen sind unter anderem Reservisten der Raketenabwehr und der Luftwaffe. Man schätze die Gefahr eines Angriffs aus Syrien aber bisher als gering ein, hieß es.
Großbritannien wollte am Mittwochabend eine Resolution zu Syrien im UNO-Sicherheitsrat einbringen. Die UNO forderte „noch vier Tage“ Zeit für die Giftgas-Untersuchungen in Syrien.
Angesichts der bedrohlichen Lage in der Region ordnete Israel am Mittwoch eine Teilmobilmachung seiner Reservisten an. Das beschloss das Sicherheitskabinett unter Vorsitz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwoch. Die genaue Zahl der einberufenen Reservisten wurde nicht bekannt gegeben; die Rede war von einer „kleinen Zahl“, die auf den Golanhöhen an der Waffenstillstandslinie zu Syrien stationiert werden soll. Die letzte Teilmobilisierung im November 2012 war wesentlich umfangreicher. Damals warteten Tausende israelische Soldaten auf den Befehl zu einer Bodenoffensive im Gazastreifen, der dann nicht erteilt wurde.
Die Regierung in Jerusalem befürchtet, dass Syrien nach einem Angriff aus Rache einen Vergeltungsschlag gegen Israel führen könnte. Das Risiko aber wird nach wie vor als eher gering eingeschätzt.
Im Vorfeld der Syriensitzung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China) schlug Moskau mahnende Töne an. Der Sprecher des russischen Außenministeriums, Alexander Lukaschewitsch, appellierte an die internationale Gemeinschaft, Vorsicht walten zu lassen und das Völkerrecht zu beachten. Der stellvertretende Verteidigungsminister Gennadi Gatilow meinte, es sei nützlich, die politischen Parameter für eine Syrienresolution auszuarbeiten, da die Drohung mit Gewalt über dem Land hänge. Mit den „politischen Parametern“ ist möglicherweise die Einberufung der internationalen Syrienkonferenz gemeint, von der bereits seit Monaten die Rede ist.
Der russische Außenminister Sergei Lawrow bekräftigte allerdings auch, Gewalt würde nicht zu einer Lösung, sondern zur weiteren Destabilisierung führen. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mahnte: „Der UN-Sicherheitsrat muss seine politische Verantwortung behalten.“
Auf britischen Wunsch wollte der UN-Sicherheitsrat möglicherweise noch am Mittwoch über Syrien beraten. Der britische Entwurf einer Resolution sah vor, dass der Sicherheitsrat „alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten vor Chemiewaffen“ erlaubt. Zugleich betonte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der Chemiewaffeneinsatz dürfe „nicht unbeantwortet bleiben“.
Nach Angaben des Syriengesandten der UNO, Lakhdar Brahimi, haben die UN-Inspektoren in Syrien bei Damaskus Hinweise auf den Einsatz von Chemiewaffen gefunden. Es scheine, als seien einige „chemische Substanzen“ verwendet worden, teilte Brahimi in Genf mit.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte vier Tage mehr Zeit für die Arbeit der Inspektoren. Es sei von entscheidender Bedeutung, die Faktenlage sorgfältig zu klären, sagte Ban in Den Haag. „Ein UN-Team ist gerade vor Ort, um genau das zu tun. Das Team braucht Zeit, um seine Arbeit zu machen“, betonte Ban.
Die UN-Inspektoren in Damaskus setzten am Mittwoch nach einem Tag Zwangspause ihre Ermittlungen in dem Bezirk Al-Ghuta Al-Scharkija fort. Sie haben allerdings lediglich ein Mandat, Näheres über den mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz selbst zu recherchieren, nicht aber, welche Seite für diesen Einsatz verantwortlich war. B.S., S.K.
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