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Der Teufelskerle

Nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg kann Günther Oettinger sich gestärkt seinen echten Gegnern zuwenden – jenen in der CDU

AUS STUTTGART HEIDE PLATEN

Die Abgeordneten der CDU nahmen die ersten Hochrechnungen mit routinierten Küsschen und Umarmungen zur Kenntnis. Man ahnte: Die hatten fest mit dem erreichten Ergebnis von um die 45 Prozent gerechnet. Die Begeisterung im Foyer des Stuttgarter Landtages wurde nur kurzfristig richtig enthusiastisch, als es so aussah, als ob es haarscharf zur absoluten Mehrheit reichen könnte. Bei den Freien Demokraten mischte sich deshalb anfangs in die gemäßigte Freude auch Besorgnis, dass es trotz Steigerung auf 10,5 Prozent nicht wieder für eine Regierungsbeteiligung langen könnte. Justizminister Ulrich Goll beruhigte die Gemüter später mit schlichter Dankbarkeit: „Wir haben einen guten Wahlkampf gemacht!“

Die FDP hatte sich der CDU auf Gedeih und Verderb angedient, mit der sie seit zehn Jahren gemeinsam regiert. Von koketten Tändeleien mit der Option Schwarz-Grün abgesehen, hatte sich auch Ministerpräsident Günther Oettinger im Wahlkampf längst auf einen Fortbestand dieser Koalition festgelegt und die anderen Parteien kaum beachtet. CDU-Fraktionschef Stefan Mappus kündigte nach der Wahl an, dass Oettinger sowohl mit Liberalen als auch mit den Grünen reden werde. Oettinger selbst sagte: „Die FDP bleibt erste Wahl.“ Ansonsten verteilte der Ministerpräsident nach seiner ersten gewonnenen Wahl ein generelles Lob an sein Bundesland. „Baden-Württemberg“, sagte Oettinger, „ist ein tolles Land.“ Zwei nach den letzten Wochen etwas überraschende Wahlanalysen: Er habe „auf dem Fundament von Erwin Teufel aufbauen können“ und die Partei habe „geschlossen gekämpft“. Das Wahlergebnis ist trotz mäßiger Beliebtheit ein Triumph für Oettinger, der erst vor knapp einem Jahr den wesentlich beliebteren Erwin Teufel entmachtet hatte. Seine Ausfälle gegen ältere Arbeitnehmer und Gewerkschafter und der so genannte Muslim-Test scheinen ihm eher genützt zu haben.

Herausforderin Ute Vogt hatte es nichts genützt, dass sie den Amtsinhaber immer wieder als entscheidungsschwach und profillos kritisiert hatte. Sie verfehlte mit knapp 25 Prozent meilenweit die 30-Prozent-Hürde, die sie 2001 als Spitzenkandidatin wiedererobert hatte. Ihre Wahlanalyse: „Die große Koalition hat die Regierungen stabilisiert.“ Vogt gestand ihre Niederlage ein, gratulierte Oettinger und verschob Antworten zur Frage nach ihrem Rücktritt auf den heutigen Montag. Darüber werde im Parteirat diskutiert.

Die Grünen sind nun mit 12 Prozent drittstärkste Fraktion. Darüber jubelten sie noch lauter als die Union. Der Freudenschrei des Parteilinken Winfried Hermann etwa hallte über drei Stockwerke. In der Fraktion war nach der ersten Freude Realpolitik angesagt. Man werde gelassen abwarten, ob eine Koalitionsangebot komme, sagte Parteichef Andreas Braun: „Ich glaube aber, eher nicht.“ „Die Bronzemedaille vom Wähler“ wähnte Spitzenkandidat Winfried Kretschmann sich umgehängt. Mögliche Koalitionsverhandlungen macht er davon abhängig, dass die CDU auf eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken verzichtet. Falls nicht, kündigt Kretschmann für die nächsten Jahre „engagierte Oppositionspolitik“ an. Damit kennen die Grünen sich aus.

Die Wahlbeteiligung war gestern noch geringer als erwartet. Mit nur 52,5 Prozent Prozent lag sie weit unter den 62,6 Prozent von 2001. Das bisher schlechteste Ergebnis hatte vor 45 Jahren bei 60 Prozent gelegen.

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