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Trutzburg Balkonien

STADTENTWICKLUNG Bukarest gilt oft als das Schreckgespenst der Urbanisierung. Im HAU erzählte der Architekturhistoriker Stefan Ghenciulescu nicht nur, warum, sondern was der Westen dort trotzdem lernen kann

Der Wandel nach 1989 fiel in Bukarest heftig aus. Ein Extrem löste das andere ab

VON PHILIPP GOLL

Wer in der Bukarester Innenstadt etwas bauen möchte, der sollte ein paar Dinge beachten. Etwas Kapital sollte er in der Tasche haben, klar. Kontakte, auch gut. Doch das Wichtigste ist das Konzept, nach dem er moderne architektonische Elemente – etwa eine spiegelnde Glasfassade – in alte Strukturen einfügen möchte. Denn: Der Bukarester an sich schätzt die neoklassizistischen Villen im rumänischen Nationalstil des 19. Jahrhunderts mit ihren Fensterbögen, Säulen, Veranden.

Die Architekten des „Novotels“ haben das gewusst. In der Calea Victorei nördlich des monumentalen „Hauses des Volkes“, spiegelt sich zwar halb Bukarest in der verglasten Fassade, doch wird dies kaschiert mit der Fassadenrekonstruktion des Opernhauses. Das Hotel wirkt hier wie ein Anbau. Und auch andernorts findet man Glasaufbauten auf eine alte steinerne Villa gesetzt.

Für Stefan Ghenciulescu, Architekt und Chefredakteur der Zeitschrift Arhitectura, hat diese Bauweise einen schwerwiegenden Konstruktionsfehler. Nur scheinbar wird auf den Wert bestehender Architektur Rücksicht genommen. Die abschätzige ästhetische Diskussion über „moderne“ Architektur verdränge im Keim einen planerischen Diskurs, der ein Konzept für das Nebeneinander von Altem und Neuem entwickeln könnte. Für ihn hängt diese disparate Zersetzung von Bauwerken mit der Zerstörung der Stadt unter dem Deckmantel der Privatisierung zusammen. In ihrer Totalität erinnert sie an Nicolae Ceaușescu, der mit dem Bau des „Hauses des Volkes“ die Struktur der Stadt signifikant veränderte. Darüber redete Ghenciulescu in einem Vortrag im HAU, in einer Reihe, die unter dem Titel „If I Can Make it There. Was die Städte versprechen“ den Glücksversprechen der Metropolen nachgeht.

Wilde Stadtzerstörung

Und in der Tat hat Bukarest schon eine wilde Phase des städtischen Umbaus hinter sich. Bestes Beispiel ist eben Ceausescus monumentale „Casa Poporului“, das „Haus des Volkes“. Bukarest verlor durch diese megalomane Architektur 20 Prozent seiner Bausubstanz in den 80er Jahren. In diese Bauzeit fällt auch die totalitäre Aneignung des Öffentlichen Raumes durch den staatlichen Machtapparat. Reformen wie Perestroika oder Arbeiterproteste im öffentlichen Raum blieben aus.

Der Wandel nach 1989 fiel daher für Bukarest umso heftiger aus. Ein Extrem löste hier das andere ab. Während das staatlich oktroyierte sozialistische Glücksversprechen sich im kollektiven Wohnen in Plattenbauten einlösen sollte, versprach die neue Ordnung das Glück in der individualistischen Entfaltung durch private Eigentumsbauten. Und sei es der Balkon der nach 1989 privatisierten Plattenbauwohnungen, der zur Bastion der individuellen Gestaltungsfreiheit wurde.

Der eine bevorzuge den Umbau in einem Wintergarten, die andere schotte sich hinter Sichtschutz ab. Ähnliches sei, sagte Ghenciulescu, bei Neubauten zu beobachten, die als Villen abseits der breiten Boulevards entstehen. Spezifisch für Bukarest sei, betonte Ghenciulescu, dass es abgesehen von ein paar Parks öffentliche Räume, die von den Stadtbewohnern genutzt werden könnten, kaum gebe. Dafür erobern raumgreifende Parkplatzanlagen die Stadt, die bis heute Hoheitsgebiet des Automobils sei und auch gern mal großflächig für eine Autorallye abgesperrt werde. Dafür würden private Orte als öffentliche ausgegeben. So fungierten etwa Malls als öffentlicher Treffpunkt.

Zeichen umkehren

Erklärt man diese Entwicklungen nun in der üblichen Logik, dass „der Osten“ nachholt, was „der Westen“ schon hinter sich hat, dann ließe sich folgende Frage formulieren: Könnte diese Entwicklung nicht auch ein Licht werfen auf die Stadtentwicklung in Westeuropa?

Dann sollte das Glücksversprechen der Metropole Bukarest, das in der radikalen privaten Aneignung des öffentlichen Raums besteht, ein Zeichen sein, das sich umkehrt und auf die eher unglückliche Entwicklung in Westeuropa selbst deutet. Und so war eins der interessantesten Ergebnisse der abschließenden Diskussion zwischen Ghenciulescu, dem Urbanisten Kai Vöckler und dem Künstler Markus Bader, dass der Blick nach Osten heute längst nicht mehr das andere, „wilde“ Europa, sondern vielmehr unsere, die westliche Geschichte in scharfen Kontrasten gleichsam unter dem Brennglas aufdecke.

■ Die Vortragsreihe „If I Can Make it There. Was die Städte versprechen“ findet im Rahmen des deutsch-polnisch-indischen Kulturprojekts „The Promised City“ statt. Mehr unter:

www.promised-city.org

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