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Einigung in Genf über syrische Chemiewaffen

DIPLOMATIE Nach einem amerikanisch-russischen Plan soll das Regime in Damaskus seine Gilftgasbestände vollständig offenlegen. Die Reaktionen sind vorwiegend positiv

Kritik in den USA

■ Die einflussreichen US-Senatoren John McCain und Lindsey Graham haben den russisch-amerikanischen Plan zur Sicherung und Zerstörung syrischer Chemiewaffen kritisiert. Die Regierung in Damaskus werde die Vereinbarung nutzen, um Zeit zu schinden und die Weltgemeinschaft zu täuschen, teilten die Politiker am Samstag in einer gemeinsamen Stellungnahme mit. Ohne Resolution des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta sei die Übereinkunft bedeutungslos, hieß es weiter. Eine Anwendung dieses Kapitels würde militärische Maßnahmen völkerrechtlich rechtfertigen, sollte Syrien die Zusammenarbeit verweigern. (dpa)

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Die am Samstag in Genf erzielte Einigung zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow auf einen Plan für die internationale Kontrolle und anschließende Zerstörung der syrischen Chemiewaffen ist weltweit auf überwiegend positive Reaktionen gestoßen. Die Regierung in Damaskus begrüßte den Plan am Sonntag als einen „Sieg für Syrien“.

Der Kerry-Lawrow-Plan fordert die syrische Regierung auf, der Organisation für die Überwachung der Chemiewaffenverbotskonvention (OPCW) in Den Haag bis spätestens kommenden Samstag (21. September) eine „umfassende Auflistung, inklusive Namen, Arten und Mengen aller in Syrien vorhandenen Chemiewaffen vorzulegen sowie die Arten von Munition und die Orte und Formen der Lagerung, Produktion, Forschung und Entwicklungsstätten für C-Waffen“.

Bis „spätestens November“ muss die Regierung Assad die InspektorInnen der OPVW ins Land lassen. Ihnen muss dann „sofortiger und ungehinderter“ Zutritt zu allen Lager- und Produktionsstätten von Chemiewaffen gewährt werden. Bis Ende November soll die Zerstörung zunächst aller Misch- und Abfüllanlagen für chemische Kampfstoffe abgeschlossen sein.

Spätestens „bis Mitte 2014“ sollen dann sämtliche syrischen Chemiewaffen sowie die Materialien und Geräte zu ihrer Herstellung zerstört sein. Diese Fristen sind deutlich kürzer als jene in der C-Waffen-Verbotskonvention, der Syrien nach seiner letzte Woche erfolgten Beitrittserklärung ab dem 14. Oktober als Vertragsstaat angehören wird.

Der amerikanisch-russische Plan und weitere Details zu seiner Umsetzung sollen in den nächsten Tagen zunächst vom Exekutivrat der OPCW formal beschlossen und danach durch eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats völkerrechtlich verbindlich gemacht werden. Diese Resolution wird nach der Einigung zwischen Moskau und Washington noch keine unmittelbaren und konkreten Konsequenzen androhen, falls die syrische Regierung diesem Plan „zuwiderhandelt – einschließlich einer Verlegung der Chemiewaffen an andere Standorte“.

Für den Fall der Zuwiderhandlung vereinbarten Kerry und Lawrow allerdings, dass der Sicherheitsrat dann in einer weiteren Resolution „Maßnahmen nach Kapitel VII der UNO-Charta beschließt“. Mit dieser Kompromissformulierung ist die Option eines militärischen Vorgehens gegen Syrien zunächst offen geblieben. Moskau lehnt dies derzeit noch entschieden ab, aber die Obama-Regierung behält sich einen Angriff weiterhin ausdrücklich und notfalls auch ohne UN-Mandat vor.

Der amerikanisch-russische Plan geht davon aus, dass sich in Syrien rund 1.000 Tonnen verbotene chemische Kampfstoffe an 42 bis 45 Orten befinden. Damit hat die russische Regierung, deren Delegation zu Beginn der Genfer Verhandlungen am letzten Donnerstag zunächst deutlich niedrigere Zahlen für den Gesamtumfang und die Lagerorte auf den Tisch gelegt hatte, die Erkenntnisse der US-Geheimdienste übernommen.

Die Lagerorte liegen nach Angaben aus Kerrys Delegation alle in derzeit von den Regierungsstreitkräften kontrollierten Regionen. Ein landesweiter Waffenstillstand ist daher für die Regierungen in Washington und in Moskau zwar wünschenswert, aber keine unerlässliche Voraussetzung zur Umsetzung ihres Plans. Nach ihrer Vorstellung soll „der größte Teil“ der in Syrien befindlichen Chemiewaffen nicht vor Ort zerstört, sondern in ein noch nicht näher bezeichnetes Ausland transportiert und dort entsorgt werden.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, die Arabische Liga sowie die Regierungen in Berlin, London und Paris begrüßten den in Genf erzielten Durchbruch grundsätzlich. Auch China erklärte seine Unterstützung. Die Nato und die EU äußerten sich ebenfalls positiv.

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