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Schwarz-grüner Rütlischwur fällt aus

Beim Thema Integration betonen Union und Grüne nach ihrem Stuttgarter Flirt wieder Gegensätze. Berliner CDU-Wahlkämpfer fordern Abschiebung von Schülern. Grüne stellen der Union ein „Armutszeugnis“ aus. Aber es gibt auch leise Zwischentöne

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Sie müsse das jetzt so sagen, sagt Renate Künast. Was die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer gerade vorgetragen habe, sei „ein Armutszeugnis“. Wenn die CDU-Politikerin nun einen großen Integrationsgipfel mit der Bundeskanzlerin ankündige, sei dies „ein Luftschloss“, so die Grüne.

Die aufgeregte Debatte um Migrantenkinder und Gewalt an Schulen hat das Parlament erreicht. Auf Antrag der FDP beschäftigt sich der Bundestag mit „den Vorgängen an der Rütli-Hauptschule in Berlin“. Alle Parteien reden mit. Aber CDU und Grüne dominieren wie meist bei migrationspolitischen Themen die Diskussion – als scheinbar unversöhnliche Antipoden.

„Die Zeit des Wegschauens ist vorbei“, verkündet Böhmer und reagiert auf den Zwischenruf der Exministerin Künast spitz: „Wer hat denn diese Integrationsdefizite zu verantworten? Sie waren in der Verantwortung!“ Das kann Künast so nicht stehen lassen. „Was hat denn die CDU in den letzten Jahren getan?“, fragt sie zurück und antwortet sogleich: Ganztagsschulprogramm und Zuwanderungsgesetz habe die Union blockiert und nichts getan, damit Kinder von Migranten „eine Perspektive bekommen“.

Jenseits aller schwarz-grünen Flirts: Wenn es um Ausländer geht, pflegen Union und Grüne ihre Gegensätze. Für die CDU spricht der Berliner Spitzenkandidat Friedbert Pflüger, der sich gerne auf seinen liberalen Mentor Richard von Weizsäcker beruft, im Wahlkampf aber auf Rezepte aus der Steinzeit der Integrationsdebatten setzt. „Ausländische Intensivtäter“, ließ Pflüger gerade wissen, müssten abgeschoben werden, „auch wenn sie noch zur Schule gehen“ – und zwar „in ihr Herkunftsland“ – wo immer das auch liegen mag bei Kindern der dritten Migrantengeneration. Auf eine Wiederholung dieser Forderung verzichtet er im Bundestag. Dafür läuft die Berliner CDU-Kulturpolitikerin Monika Grütters zu Wahlkampfhochform auf. Erst bedauert sie, dass der Berliner Senat den christlichen Religionsunterricht abgeschafft habe, obwohl man da doch „Nächstenliebe und Friedfertigkeit“ lernen könne. Im nächsten Atemzug fordert Grütters „spürbare Sanktionen“ für integrationsunwillige Ausländer, bis hin zur Beendigung des Aufenthaltsrechts. „Das ist eine Sprache, die auch diejenigen verstehen, die der deutschen Sprache sonst eher unkundig sind.“

Also alles wie gewohnt: die Grünen als Schutzmacht der Migranten, die Union als realitätsblinde Deutschtümler? Es gibt in beiden Parteien auch Politiker, die sich differenzierter äußern. Norbert Röttgen etwa, Fraktionsgeschäftsführer der Union. „Es ist eine Illusion zu glauben, man könnte all diejenigen, die Probleme haben, außer Landes bringen“, erklärte er kürzlich. Es gehe um Jugendliche, die „Teil dieser Gesellschaft“ seien. Ihre Integration sei vorrangig, so Röttgen. An diesem Punkt setzt der Grünen-Politiker Volker Beck an. Er macht sich für ein „Kindergartenpflichtjahr“ stark, mit ausreichenden und kostenlosen Angeboten. Kindern vor der Einschulung Deutsch beizubringen, sei „ein Schlüsselprojekt“. Beck scheut sich nicht, gute Ansätze aus CDU-regierten Ländern zu loben. „Das saarländische Modell ist ein gutes Beispiel“, sagte er der taz. Dort seien Kindergärten gratis. Dass Vorschulkinder erfolgreich gefördert werden können, belegten auch die in Hessen eingeführten „Vorlaufkurse“.

Röttgen und Beck könnten also durchaus Gemeinsamkeiten finden. Ob Kindergärten Pflicht werden und kostenlos sein müssten, seien „Fragen, die sich stellen“, sagte Röttgen. Aber auch er weiß, dass spätestens beim Geld die Gemeinsamkeiten wieder aufhören: „Die Finanzierungsfrage lasse ich mal offen.“

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