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Schüsse aus dem Studio

ZENSUR Im Bürgerkriegsland Somalia ist Journalismus gefährlich. Die Kriegsparteien wollen keine kritische Berichterstattung. Manche Journalisten lassen ihr Leben, andere fliehen

Im Kampf zwischen Islamisten und Regierung ist Wahrheit unerwünscht

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

Aus dem Lautsprecher brabbelt es Wort ohne besondere Betonung. Ahmed und Mohammed, die das Programm des somalischen Senders Radio Benadir im Internet verfolgen, hören dennoch aufmerksam zu. Auf einmal: das Rattern von Maschinengewehren. Schreie, irgendeine Erklärung? Weit gefehlt: Die vertraute Stimme nimmt wieder ihren monotonen Singsang auf, als wäre nichts geschehen. „Das ist das Geräusch einer Kalaschnikow“, erklärt Ahmed. „Bei Benadir benutzen sie das jetzt anstelle der Jingles. Die haben die Islamisten vor ein paar Tagen verboten.“

Nicht nur Soundelemente, auch die Ausstrahlung jeglicher Musik hat Hizbul Islam, eine der beiden großen Islamistengruppen in Somalia, untersagt. Auf Mogadischus 15 Radiostationen reden sich die Moderatoren seitdem die Lippen fusselig. Sich den Islamisten offen zu widersetzen, wagt inzwischen kaum noch ein Programmchef in der somalischen Hauptstadt, von der nach 19 Jahren Anarchie und Bürgerkrieg vor allem einschussvernarbte Hausgerippe übrig geblieben sind. Journalisten leben hier noch gefährlicher als die wenigen restlichen Bewohner, die die einstige Millionenstadt noch nicht verlassen haben.

Radio als Leitmedium

Informationen zählen in Somalia, trotz fast zwei Jahrzehnten ohne Staat. Die Bevölkerung, einst von Warlords gemartert und heute Daueropfer im Kreuzfeuer von Islamisten und Truppen der machtlosen Übergangsregierung, hat ihren Hunger nach News nicht verloren. Auf alten Kopierern vervielfältigte „Zeitungen“ werden von Nachbar zu Nachbar weitergereicht, bis der schwache Toner vollends verblichen ist. Das wichtigste Medium aber ist das Radio. Überall plärren Stimmen aus scheppernden Lautsprechern. Ihre Popularität speist sich vor allem daraus, dass sich viele Journalisten – allen Widrigkeiten zum Trotz – bis heute ihre Unabhängigkeit bewahrt haben.

Shidane Daban gehört zu denen, die den Beruf des Journalisten aus Leidenschaft ergriffen haben. Als Reporter bei Radio HornAfrik ließ Daban sich von ständigen Drohungen nicht einschüchtern. Bis zu dem Tag, als er über die Vergewaltigung eines 12-jährigen Mädchens berichtete, hinter der ein einflussreicher Warlord steckte. „Am Abend stürmten auf einmal Milizen unser Haus und haben wild um sich geschossen“, erinnert sich Daban an den Vorfall, der einige Jahre zurückliegt. Seine 18 Monate alte Tochter wurde ermordet, er selbst wurde schwer verletzt. Ärzte mussten seinen rechten Arm amputieren, sonst hätte er nicht überlebt.

Daban hatte noch Glück. Mukhtar Mohammed Hirabe, Direktor des einflussreichen Radiosenders Shabelle, wurde im vergangenen Herbst regelrecht hingerichtet. „Es waren drei maskierte Männer“, sagt ein Augenzeuge, der den Mord mitten im belebten Zentrum Mogadischus beobachtete. „Sie haben den einen Mann sofort umgebracht, der andere wurde in den Bauch getroffen und später ins Krankenhaus gebracht.“ Dieser andere, Programmchef Ahmed Tajir, überlebte schließlich schwer verletzt.

Mindestens vier weitere Journalisten wurden im vergangenen Jahr von somalischen Milizen ermordet, und 2010 wird wohl nicht besser. „Das Jahr hat schon tragisch für uns begonnen“, sagt Dahir Abdulle Alasow, Vorsitzender des somalischen Journalistenverbandes ASOJ. „Am 1. Januar wurde ein Shabelle-Reporter erschossen, und nicht mal einen Monat später ist der Direktor von Radio HornAfrik ermordet worden.“ Alasow ist schlechte Nachrichten gewöhnt: 2008 addierte die Zahl der ermordeten Journalisten sich auf acht, Dutzende wurden verletzt, gefoltert oder verschleppt, und mindestens fünfzig Reporter flohen aus Somalia.

Alasow selbst ist vor einigen Monaten nach Kanada geflohen, nachdem Milizen der islamistischen Shabaab mehrmals versucht hatten, ihn zu ermorden. Seine kritische Nachrichtenseite waagacusub.com betreibt er nun aus dem Exil – sie gehört zu den am meisten gelesenen Nachrichtenseiten in Somalia. Alasow veröffentlicht unter anderem Zeichnungen des Karikaturisten Amin Amir Mohammed, der wegen seiner Kritik an den Islamisten in die Niederlande fliehen musste.

Auch im Feind der Islamisten – Somalias international anerkannter Übergangsregierung von Präsident Sharif Sheikh Ahmed – haben Journalisten keinen Verbündeten. Im Gegenteil. Sein Vizepremier Abdirahman Ibbi sagte im vergangenen Jahr, die unabhängigen Medien seien Teil des Problems in Somalia. „Man muss mit harter Hand gegen sie vorgehen“, forderte Ibbi.

Seit ihrer Machtübernahme hat die Regierung immer wieder Sender geschlossen und Journalisten verhaftet – wegen angeblicher „Falschmeldungen“. Auch die Islamisten wachen über jedes Wort: als „Waagacusub“-Chef Alasow Ende vergangenen Jahres kritisch über die Shabaab berichtete, drohte die Bewegung dem „Verräter“ sofort mit dem Tod. Im Kampf zwischen Islamisten und Regierungstreuen ist Wahrheit, etwa über Sieger und Besiegte, auf beiden Seiten unerwünscht – sie könnte die Moral schwächen. Der unliebsamen Augenzeugen entledigt man sich deshalb lieber. Falls nötig, mit Gewalt.

Verfolgung bis ins Exil

Dass immer weniger verlässliche Journalisten in Somalia arbeiten, hat Auswirkungen auch auf die internationale Berichterstattung. Ausländer trauen sich nicht mehr nach Somalia. Wichtigste Quelle über das, was in Somalia vor sich geht, sind für das Journalistenkorps in Nairobi im Nachbarland Kenia somalische Kollegen, die nebenher als Informanten arbeiten. Je mehr von ihnen nach Kenia oder Äthiopien fliehen, desto dünner wird die Informationsbasis.

Doch auch für die zunehmende Zahl somalischer Journalisten, die ihre Arbeit von Nairobi aus erledigt, wird die Arbeit immer gefährlicher. Im Stadtteil Eastleigh, wegen des hohen Flüchtlingsanteils im Volksmund „Klein-Somalia“ genannt, verfolgen die somalischen Islamisten kritische Reporter mit Killerkommandos. Shidane Daban, der schon aus Mogadischu floh, ist deshalb untergetaucht. Nicht von ungefähr hat die Shabaab-Führung inzwischen auch die Ausstrahlung der somalischsprachigen Programme von BBC und Voice of America untersagt. Somalis, die die Sender dennoch hören, müssen mit drakonischen Strafen rechnen.

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