piwik no script img

Bank und Kunde

Zum Verhältnis zwischen Autoren und Verlagen – am Beispiel von Salman Rushdies Roman „Satanische Verse“

Mutiger als ihre Autoren sind überhaupt keine Verleger. Einen Roman zu schreiben kann lebensgefährlich sein. Doch nur einmal gab es in der Nachkriegszeit in Deutschland eine verlegerische Entscheidung, in der es um Tod oder Leben ging: Wer wagt es, Rushdies „Satanische Verse“ zu drucken? Sein Kölner Verleger hatte nach Ajatollah Chomeinis Fatwa gegen Buch und Autor auf die Ehre verzichtet, Todeskandidat des Theokraten zu werden, zumal Rushdies norwegischer Verleger bereits mit drei Schüssen niedergestreckt worden war und wie durch ein Wunder überlebte: Oslo brach sofort seine diplomatischen Beziehungen zu Teheran ab. Norwegen hatte sein eigenes Öl. Die Lufthansa schloss Rushdie vorübergehend aus ihren Transportangeboten aus. Aber eine kleine Gruppe deutscher Verleger schloss sich zusammen und publizierte Rushdies Roman mit großem Erfolg.

Die Rendite, mehrere hunderttausend Mark, wurden an die Organisation „Writers in Prison“ überwiesen. Drei Verlage freilich weigerten sich, mitzumachen. Siegfried Unseld (Suhrkamp) wollte „das Buch erst mal lesen“. Einer der Beck-Brüder an der Spitze des Familienunternehmens meinte: „Die knallen die Leute ja nach dem Alphabet ab. Und Beck steht nun mal vorne, anders als Rowohlt.“ Das meinte er wirklich ernst. Der Hanser Verlag verwies auf seinen Hausmeister, der sei befreundet mit dem Hausmeister des iranischen Konsulats in München, und die hätten Waffen im Keller. Und ein Verleger aus Gütersloh wollte erst mitmachen, wenn „dreißig andere dabei sind. Dann können Sie mich wieder anrufen.“ Er flog wenig später von seinem Posten, und Bertelsmann übernahm die Auslieferung. Die Bundespost musste per Anwalt gezwungen werden, ein Postfach für die Buchbestellungen zur Verfügung zu stellen. Es könnten ja Briefbomben aus Teheran dabei sein.

Am Ende waren es die konservativeren Verleger Deutschlands, die in der Causa „Rushdie“ mehr Zivilcourage zeigten als – bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel Wagenbach) – die angesagten „linken“ Häuser. Und der Autor? Na ja, das Wörtchen „Danke“ gehört nicht unbedingt zum Sprachschatz der meisten Schriftsteller, und wer will schon bestreiten, dass ein Dichter, der auf der Hitliste islamischer Fundamentalisten steht, keine Zeit für westeuropäische Artigkeiten hat. Zumal das Verhältnis zwischen Verlegern und Autoren demjenigen zwischen einer Bank und einem Kunden gleicht. Und wer hat sich jemals bei seiner Bank bedankt? Als Heinrich Maria Ledig-Rowohlt beerdigt wurde, war kein einziger „seiner“ Dichter dabei. „Well“, meinte Updike, „die meisten waren ja auch schon tot.“ Aber er selbst, der mit Rowohlt Millionen Mark verdient hatte, war quicklebendig und ward nicht gesehen.

MICHAEL NAUMANN

Hinweis: MICHAEL NAUMANN, 65, ist Politiker, Journalist und Publizist. Der studierte Politologe wurde 1998 Verlagsleiter bei Rowohlt. Ebenfalls 1998 wurde er Staatsminister für Kultur und Medien. 2001 wechselte er zur Wochenzeitung Die Zeit – als Herausgeber und Chefredakteur. Seit 2005 gibt Naumann gemeinsam mit Tilman Spengler die Zeitschrift Kursbuch heraus.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen