: Ratte, Tintenfass und Zeugnis
Um die Zukunft der Schulgeschichtlichen Sammlung in Hastedt tobt seit Monaten ein verbissener Streit. Ein Rundgang zwischen Koalitionsgeplänkel und Geschichtsunterricht
von Eiken Bruhn
Eine ausgestopfte Ratte, ein Zeugnis aus dem 19. Jahrhundert, ein Tintenfass in Schwanenhalsform: Um diese Gegenstände streiten seit Monaten die Regierungsparteien CDU und SPD. Wobei „streiten“ nicht der richtige Ausdruck ist. „Zanken“ trifft es besser. Oder, wenn man im Bild der oft bemühten Metapher „Eine große Koalition ist keine Liebesheirat“ bleibt: Es ist der ganz alltägliche Beziehungskrieg, die kleinen Nörgeleien am Rande, die Nickeligkeiten, der Neid, mit denen man dem Partner versucht eins auszuwischen.
Wie so oft bleiben dabei die Kinder auf der Strecke, in diesem Fall die Schulgeschichtliche Sammlung. Dieses Kind hat die SPD in die Ehe gebracht, es gehätschelt und gepflegt und möchte jetzt eigentlich gern die Verantwortung abgeben. „Es ist keine Aufgabe des Bildungsressorts, ein Museum zu betreiben“, sagt die SPD-Bildungspolitikerin Ulrike Hövelmann und findet es verständlich, dass der SPD-Bildungssenator sich darum bemüht, es dem CDU-Kultursenator anzudrehen. Der sei schließlich zuständig für alle anderen Museen in der Stadt, und man würde sich ja auch nicht ganz aus der Verantwortung stehlen, sondern ebenfalls ein wenig Unterhalt zahlen. Wie viel, verrät die SPD allerdings nicht.
In jedem Fall müsse die Sammlung aber raus aus der Schule am Hohwisch, wo sie derzeit untergebracht ist, sagt Hövelmann. Denn dort soll die Freie Kinderschule einziehen, die wiederum aus ihren Räumen an der Lothringer Straße fliegt, weil das ehemalige Schulgelände dort verhökert wurde. So haben es CDU und SPD gemeinsam beschlossen. „Schulstandortkonzept“ heißt das. Für die Schulgeschichtliche Sammlung hatte man sich ein Gebäude in der Überseestadt ausgeguckt, 300.000 Euro sollte der Umzug kosten, je ein Drittel wollten der damalige CDU-Bausenator Jens Eckhoff und der Bildungssenator rausrücken, weitere 100.000 Euro sollte die Stiftung Wohnliche Stadt beisteuern. Doch irgendwie hatte plötzlich nur der Bildungssenator Geld übrig. Wo die Exponate, darunter ganze Klassenzimmer aus dem 19. Jahrhundert, und die vier Mitarbeiterinnen jetzt unterkommen sollen, ist unklar. Für einen Umzug ins Focke-Museum – wogegen nichts spricht, außer, dass dort kein Platz ist – müsste Geld her für einen Anbau. An anderen Orten wären Umbaukosten fällig.
Die CDU wird nicht müde zu beteuern, wie lieb sie das Kind mittlerweile habe – auch wenn sie findet, es sei damals, 1983, doch ein etwas „hässliches Baby“ gewesen. Heute hängt ihr Herz an dem Museum, und die Aussicht, dass Ratte, Tintenfass und Zeugnis mangels anderer Unterbringungsmöglichkeit in einem Keller verschwinden könnten, ruft „Empörung“ und „Entsetzen“ hervor, wie es die Schüler-Union vergangene Woche formulierte. Auch der CDU-Bildungspolitiker Claas Rohmeyer hält die Sammlung für eine ganz wichtige Einrichtung, weil Schülerinnen und Schüler dort aus der Vergangenheit lernen könnten. Dass der Bildungssenator die Einlagerung der Sammlung in Kauf nehme, wenn diese Anfang 2007 aus ihren bisherigen Räumen ausziehen muss, bedeute deren Ende. Denn was einmal in einem Magazin verschwinde, würde dort erfahrungsgemäß auch bleiben. Und vermodern. „Er soll doch sagen, wenn er sie platt machen will!“, stichelt Rohmeyer.
Doch so lieb die CDU das SPD-Kind auch hat – die Verantwortung dafür will sie nicht übernehmen. „Der Bildungssenator muss das Problem lösen“, sagt Rohmeyer, und dass seine Partei einem Umzug erst zustimmen würde, wenn klar sei, dass die Sammlung nicht in den Keller komme. Zur Not müsse eben für die Freie Kinderschule eine andere Unterkunft gefunden werden. Allerdings, räumt Rohmeyer ein, müsse auch die CDU sich ein wenig Gedanken machen, wie man das Finanzierungsproblem lösen könne. Da sei aber nicht er als Abgeordneter angesprochen, sondern Kultursenator Jörg Kastendiek. „Die Ressorts müssen sich absprechen“, verlangt er und ist sich darin einig mit der SPD.
Absprache ist aber nicht gleich Absprache. Unbestritten hat die CDU-Staatsrätin für Kultur, Elisabeth Motschmann, bereits mit dem SPD-Bildungsstaatsrat Göttrik Wewer über das Thema gesprochen. „Das war aber nur ein Gespräch und keine Absprache“, erklärt Rohmeyer. Gemeint sein könnte auch: „Das war aber nur eine Absprache mit Frau Motschmann und das zählt nicht.“ So sagt es aber niemand, jedenfalls nicht offen.
„Das ganz normale Chaos“, nennt Anja Stahmann, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, die unübersichtliche Gemengelage: „Das passiert immer, wenn Bildung und Kultur sich einigen sollen.“
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