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Kampagne mit Nebenwirkungen

Experten rechnen nicht mit einer deutlichen Zunahme von Prostitution während der Fußball-WM. Zahlen über Zwangsprostitution existieren nicht

VON HEIDE OESTREICH

In Frankfurt hängt an der Mainzer Landstraße ein Riesenplakat. Darauf ist ein Loch im Stadionrasen zu sehen, in dem normalerweise die Eckfahne steckt. „Rein, raus? Sag nein zur Zwangsprostitution“, heißt es dazu. In Berlin wandern überdimensionale Kondome rund ums Olympiastadion und bringen 80.000 Gummis in der Aktion „Gesunder Kunde“ unter die Leute. Deutschlandweit sollen 750.000 Pariser verteilt werden. Trillerpfeifen für den „Abpfiff“ der Zwangsprostitution empfiehlt der Deutsche Frauenrat. Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit ist Schirmherr, das Europäische Parlament unterstützt, der Deutsche Fußballbund ist mit von der Partie – selten hatte eine Kampagne ein solches Echo: Wer noch nicht für Zwangsprostitution sensibilisiert ist, der wird es nach der WM gezwungenermaßen sein.

Doch es ist eine Kampagne mit Nebenwirkungen. Seit das Thema Zwangsprostitution in der Welt ist, häufen sich Presseberichte, die „wahre Orgien“ in „Riesen-WM-Bordellen“ kommen sehen, mit Hundertschaften von Huren: Eine Fleisch gewordene Männerfantasie, bei der man sich lediglich etwas vorzusehen hat, damit man nicht unfreiwillig Kunde einer Zwangsprostituierten wird.

Das ist eine der Nebenwirkungen der Kampagne: Sie ist kostenlose Werbung für die legale Prostitution. Das Berliner „Artemis“, das im Ausland schon mal als „Mega-WM-Bordell“ bezeichnet wird, kann sich vor Besuchen aus aller Welt nicht retten: „Drei bis sechs Pressetermine pro Tag“ wickelt die Pressesprecherin, die sich „Vanessa R.“ nennt, seit geraumer Zeit ab. „Wir haben von der Berichterstattung profitiert“, erklärt sie erfreut.

Die weltweite Berichterstattung hat aber nicht nur potenzielle Kunden heiß gemacht, sondern auch diejenigen, die Prostitution per se falsch finden. In Schweden etwa, das den Kauf sexueller Dienste generell verboten hat, rief der Ombudsman für Gleichstellung zum Boykott der Huren-WM auf. In den USA mahnte Präsident George W. Bush die deutsche Kanzlerin Merkel bei ihrem letzten Besuch, gegen das „Zwangsprostitutions-Desaster“ (Wall Street Journal) im Zuge der WM vorzugehen. Die Moskauer Wohltätigkeitsorganisation MiraMed bezeichnete die Bundesregierung als „offiziellen Zuhälter“ der WM. Überall wird die Zahl von 40.000 Zwangsprostituierten kolportiert, die angeblich im Sommer eingeschleust werden.

ExpertInnen aber denken nicht, dass überhaupt 40.000 zusätzliche Prostituierte den Dienst am WM-Fan aufnehmen werden, von Zwangsprostituierten ganz zu schweigen: „Absolut abstrus“, findet diese Zahl etwa Nivedita Prasad von der Berliner Beratungsstelle Ban Ying. „Vor den alkoholisierten Fußballfans und dem Polizeigroßaufgebot flüchten die Prostituierten eher aus den Städten“, meint sie. Auch die Polizei rechnet nur mit einem leichten Anstieg der Prostitution überhaupt. „Wo es mehr Menschen gibt, gibt es mehr Prostitution“, beschreibt BKA-Sprecherin Anke Schwalbach das Szenario. Die Berliner Polizeisprecherin Kerstin Menzel erklärte, bei anderen sportlichen Großveranstaltungen wie den Olympischen Spielen in Athen seien jedenfalls keine signifikanten Veränderungen im Milieu festzustellen gewesen. Amnesty international allerdings behauptet das Gegenteil. Konkrete Zahlen gibt es nicht. Die einzigen validen Zahlen, die es zum Menschenhandel gibt, sind die 972 Zwangsprostituierten, die das BKA 2004 bei entsprechenden Gerichtsprozessen gezählt hat. Eine Dunkelziffer gibt es sicherlich, aber niemand weiß, wie hoch sie ist.

Die Kampagne aber hat auch die Polizei aufgerüttelt. Und hier offenbart sich ein weiteres Dilemma: Das einzige Mittel, das die Polizei gegen Menschenhandel kennt, ist die Razzia. In Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern durchkämmen seit Anfang Mai hunderte von Polizeibeamten in Großrazzien das Milieu. Sie finden vor allem Frauen, die illegal in Deutschland arbeiten, weil sie keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis haben. Aber sie sind freiwillig hier. Zwangsprostituierte wurden bisher selten entdeckt. Dass Migrantinnen, die keinen anderen Weg sehen, als in Deutschland illegal zu arbeiten, nun verstärkt abgeschoben werden, kritisierte denn auch der Frankfurter Selbsthilfeverein Doña Carmen vehement. Er spricht von einem „Höhepunkt repressiver Prostitutionspolitik“. Verantwortlich seien Kampagnen wie „Abpfiff“ mit ihrer „Dramatisierung von Zwangsprostitution“, meint das Bündnis. Diese Gefahr sieht der Verein „Frauenrecht ist Menschenrecht“, der das Plakat an der Mainzer Landstraße angebracht hat, auch: „Offensichtlich waren die Razzien in Hessen nicht die zielgerichteten Aktionen, die wir uns vorstellen“, so Sprecherin Andrea Bode. „Denn soweit uns bekannt ist, konnten keine Opfer von Menschenhandel entdeckt werden. Zumindest wurden die beiden hessischen Fachberatungsstellen nicht wegen neuer Klientinnen kontaktiert. Es sieht eher nach Aktionismus vor der WM aus.“

Stefanie Klee vom Bordellverein Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD) meint deshalb: „Diese Kampagnen hat eine repressive Welle in der Politik losgetreten, die vorher so nicht möglich gewesen wäre.“ Darauf segle nun etwa die CDU, die Freier von Zwangsprostituierten bestrafen wolle. „Damit verstören sie alle Freier. Die können doch oft nicht erkennen, ob eine Frau nun Opfer von Menschenhandel ist oder nicht.“ Von denen werde dann sicher keiner mehr einer Beratungsstelle einen Hinweis geben.

Der Deutsche Frauenrat, der von einigen Hurenorganisationen der „Dramatisierung“ beschuldigt wird, wehrt sich: „Wie wollen Sie denn an Opfer von Menschenhandel herankommen, wenn nicht mit einer Razzia?“, fragt Sprecherin Ulrike Helwerth. Die Kampagne des Frauenrats differenziere sehr genau zwischen legaler Prostitution und Zwangsprostitution.

Eine Alternative zur Razzia mit Abschiebung gibt es allerdings sehr wohl: Die Gewerkschaft Ver.di, der BSD sowie verschiedene Hurenorganisationen und Beratungsstellen fordern es seit langem: Ausländerinnen, die in der Prostitution arbeiten wollen, sollen eine Art befristete Green Card bekommen. Damit wäre Menschenhändlern der Boden entzogen. Diese Forderung nach Legalisierung der immigrierten Sexarbeiterinnen aber mochten sich die Kampagneras von Frauenrat oder „Frauenrecht ist Menschenrecht“ nicht zu Eigen machen. Schließlich vertreten sie auch christliche Organisationen. Und die können sich Sexarbeit als normalen Beruf nicht vorstellen und sind froh über jede Frau, die nicht als Hure arbeitet. Die Abschiebung hunderter von freiwillig arbeitenden Huren nehmen sie in Kauf.

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