piwik no script img

Wohnung weg? Macht nichts

Das Bundesverfassungsgericht hat gestern die Rasterfahndung für unzulässig erklärt, die nach dem 11. September auch in den Nordländern durchgeführt wurde. Für die betroffenen Männer hatte sie damals weitreichende Konsequenzen

von Elke Spanner

Was die Rasterfahndung im Norden nach dem 11. September 2001 gebracht hat, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: nichts. Die Überprüfung mehrerer tausend Studenten hat die Polizei zu keinem „Schläfer“ geführt. Für die Männer selbst hat die Rasterfahndung dennoch erhebliche Konsequenzen gehabt – nachdem die Polizei bei Vermietern und Arbeitgebern vorstellig geworden war, verloren einige von ihnen die Wohnung oder den Job.

Nachdem im September 2001 bekannt geworden war, dass die Attentate in New York von Studenten aus Hamburg begangen wurden, gaben die Universitäten und Fachhochschulen der Stadt auf Geheiß des damaligen Innensenators Olaf Scholz (SPD) die Daten von über 10.000 Studenten heraus. Gerastert wurden alle Kommilitonen, die männlich, jünger als 40 Jahre und islamischen Glaubens waren. Wer diese Kriterien erfüllte, wurde ins Polizeipräsidium vorgeladen – zu einem sehr persönlichen Gespräch.

Mitzubringen waren Unterlagen wie Geburtsurkunde, Kontoauszüge, Mietverträge und Reiseunterlagen. Auskunft geben mussten die Studenten darüber, ob und wie oft sie beten, wer zu ihrem Freundeskreis zählt und wie ihre finanziellen Verhältnisse sind. Zudem wurden ihnen Fotos von Alltagssituationen auf dem Campus vorgelegt, auf denen sie Personen identifizieren sollten. Anschließend checkte die Polizei die Angaben nach, prüfte Wohn-, Arbeits- und Freundschaftsverhältnisse. Über die Studierenden, die der Vorladung nicht gefolgt waren, wurden Informationen bei Nachbarn, Vermietern und Arbeitgebern eingeholt.

Krasse Konsequenzen hatte die Rasterfahndung für Abdelwahab Mohamed. Der Deutsche sudanesischer Herkunft wurde vorübergehend obdachlos – und in den Medien als Terrorist gebrandmarkt. Ende Dezember 2001 durchsuchte ein Einsatzkommando die Wohnung des damals 33jährigen. Die Fahnder verwüsteten die Wohnung dermaßen, dass sie danach unbewohnbar war. Mohamed selbst war damals zu Besuch bei seiner Familie in Khartum, für die Polizei hieß das: Er ist auf der Flucht. Ergo wurde er mit internationalem Haftbefehl gesucht. Als er schließlich durch den Telefonanruf eines Freundes davon erfuhr, kam er nach Deutschland zurück. Zu dem Zeitpunkt war der Haftbefehl schon wieder aufgehoben. Die Polizei musste einräumen, keinem potentiellen Attentäter, sondern einem harmlosen Studenten nachgestellt zu haben. Dennoch bekam Mohamend nicht einmal einen Dringlichkeitsschein für die Suche nach einer neuen Wohnung ausgestellt.

Die Bundesanwaltschaft erhob schließlich Anklage gegen die Studenten Mounir El Motassadeq und Abdelghani Mzoudi, die sie der Beteiligung an den Anschlägen von New York beschuldigte. Doch gerieten die beiden nicht über die Rasterfahndung ins Visier der Terrorjäger. Auf ihre Spur kamen die Ermittler, als sie das Umfeld des Todesfliegers Mohammes Atta ausleuchteten – mit normalen kriminalistischen Methoden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen