: SPD hat Bauchgrimmen
BUNDESPOLITIK Berliner SPD-Funktionäre lehnen eine Große Koalition im Bund teils klar ab. Wowereit findet den Koalitions- vertrag gut, sieht aber „erhebliche Bauchprobleme“ bei der Basis
■ Bis zum 6. Dezember sollen alle SPD-Mitglieder bundesweit jene Unterlagen in der Hand haben, mit denen sie per Post über eine Koalition mit der CDU abstimmen. Die Stimmzettel müssen bis zum 12. Dezember zurück sein, das Ergebnis soll am 14. oder 15. vorliegen. Zur Information gibt es zwei große Mitgliederforen der Berliner SPD am 4. und 9., im Willy-Brandt-Haus und im Tempodrom. Auch mehrere Kreisverbände wollen ihre Mitglieder einladen. Anders als beim Volksentscheid gibt es kein Quorum für die Zustimmung, nur eine Mindestbeteiligung von 20 Prozent. (sta)
VON STEFAN ALBERTI
Den Koalitionsvertrag findet er gut, doch eine Empfehlung für ein Ja beim SPD-Mitgliederentscheid will Klaus Wowereit trotzdem nicht abgeben. „Die Mitglieder entscheiden selbst, das ist der Sinn der Sache“, meint der Regierende Bürgermeister. An der Parteibasis sieht er „erhebliche Bauchprobleme“ bei einer Großen Koalition. Kurz zuvor hatten am Donnerstagvormittag SPD und CDU ihren Koalitionsvertrag vorgelegt, über den die bundesweit über 470.000 Sozialdemokraten bis zum 12. Dezember abstimmen sollen. Für einzelne Abgeordnete wie Daniel Buchholz ist klar, dass sie mit Nein stimmen werden.
185 Seiten umfasst der Vertrag, dem auf CDU-Seite nur ein kleiner Parteitag zustimmen muss, bei der SPD hingegen entscheiden die Mitglieder. Landeschef Jan Stöß sieht wesentliche Forderungen der Berliner SPD erfüllt: Mindestlohn, doppelte Staatsbürgerschaft, Rentenverbesserung und Mietpreisbremse. „All das findet sich nun im Koalitionsvertrag, und deshalb kann ich ihm zustimmen“, sagte er auf taz-Anfrage. Fraktionschef Raed Saleh mochte sich mit Verweis auf Stöß nicht äußern.
Für eine genaue Lektüre der 185 Seiten war es nicht nur für einfache Parteimitglieder, sondern auch für viele Parlamentarier und Funktionäre am Donnerstag noch zu früh. In Grundzügen gestand der ablehnde Abgeordnete Buchholz der SPD Punktsiege in für sie wichtigen Feldern zu. „Aber ich bin grundsätzlich der Meinung, dass eine Große Koalition momentan der falsche Weg ist“, sagte er der taz. Auch in seiner Spandauer SPD habe sich bei einer Delegiertenversammlung am 19. Oktober eine klare Mehrheit gegen ein solches Bündnis ausgesprochen.
Am entgegengesetzten Ende der Stadt, in Lichtenberg, sprach sich laut Kreischef Ole Kreins der Parteivorstand ebenfalls für ein Nein aus, dort aber nur knapp. „Ich glaube, dass ich zu einer Ablehnung tendiere“, sagte Kreins.
Juso-Chef sieht Fallstricke
Das war auch von Juso-Landeschef Kevin Kühnert zu hören. Zum einen hält er den Vertrag in dem für die Jusos wichtigen Thema Europa für „völlig blutleer“. Zum anderen gebe es auch bei vermeintlichen Erfolgen wie dem Mindestlohn Fallstricke – etwa, dass er teils erst 2017 wirksam werden könne. „Mit ein bisschen Pech passiert bis dahin gar nichts“, sagte Kühnert. Und schließlich zweifle er an der Vertragstreue der CDU. „Ich habe vorher zum Nein tendiert und finde nun wenig, was mich davon abbringen könnte.“ Insgesamt sei die Stimmung bei den Jusos gegenüber einer Großen Koalition eher kritisch.
Andere mochten sich vor einer genauen Lektüre nicht auf ein Ja oder Nein festlegen, äußerten aber Kritik. Für Ülker Radziwill, Sozialpolitikerin im Abgeordnetenhaus, ist es schwierig zu vermitteln, dass die erste Einwanderergeneration keinen Doppelpass bekommen soll. Jörg Stroedter, Parteiboss in Reinickendorf und wie Radziwill Vizefraktionschef, blieb nach dem ersten Lesen skeptisch. Bei seinen grundsätzlichen Bedenken gegenüber der Koalition müsse der Vertrag schon sehr gut sein, sagte er. „Doch es ist eben nicht so, dass sofort ein Mindestlohn eingeführt wird, sondern erst 2015.“ Und teils gelte er erst ab 2017. Zudem gebe es keine Veränderung bei der Besteuerung.
Sein Neuköllner Fraktionskollege Joschka Langenbrinck wiederum sieht zwar „ein durchwachsenes Ergebnis“. In den für seinen Bezirk wichtigen Themen – vor allem Mindestlohn und Doppelpass – habe sich seine Partei aber durchgesetzt. „100 Prozent SPD kann es nur bei einer absoluten Mehrheit geben.“
Michael Arndt, Kreischef in Steglitz-Zehlendorf, verglich die Lage mit der Großen Koalition ab 2005: „Der Vertrag ist auf jeden Fall besser als vor acht Jahren.“ Für ihn als Bau- und Wohnungspolitiker sei viel drin in dem Papier. Ihn stört es aber, vom strategischen Aspekt genötigt zu werden, der Koalition zuzustimmen. Arndt kritisiert deshalb seinen SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel: „Mein Vertrauen in die strategischen Fähigkeiten des Vorsitzenden hat arg gelitten.“
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