piwik no script img

Größe kann Lautern nicht bieten

Dafür prahlt die pfälzische 100.000-Einwohner-Stadt mit dem anbiedernden WM-Slogan „Smallest city, biggest fun“. Walter ist der Vorname Kaiserslauterns, denn der Fritz ist hier geboren. Ein Streifzug auf der Fan-Meile vom Rathaus zum Stadion

Walter Kaiserslautern ist italophil. Immerhin 58 italienische Restaurants gibt es hier

VON JOACHIM FRISCH

Letzter Bundesligaspieltag in der Sportschau, Kaiserslautern kämpft verzweifelt gegen den Abstieg. Vor dem Fernseher ein St.-Pauli-Fan, ein HSV-Fan, ein Werder-Fan und ich, Kaiserslauterer. In einem Werbespot bestellt ein Herr in einem feinen Restaurant den zweitbesten Weißwein, das zweitbeste Steak und für seine feine Frau den zweitbesten Fisch. Wie auf Kommando drehen die Norddeutschen die Köpfe zu mir, dämlich grinsend. „Ein Lauterer“, trompetet der HSVer, und alle brüllen vor Lachen. Das Schlimme daran: Sie haben Recht. Auch Bremen war nur Zweitbester, der HSV nur Dritter und Pauli ist drittklassig. Doch die schweigen. Kaiserslautern aber ist zweitklassig, hat wenig zu bieten und redet darüber.

www.Kaiserslautern.de etwa startet: „Manche nennen es ‚Liebe auf den zweiten oder dritten Blick‘.“ Also auf den ersten Blick öde. Und Größe kann Lautern nicht bieten, also prahlt man mit dem anbiedernden WM-Slogan „Smallest city, biggest fun“. Dabei gibt es immerhin zwei lauschige Plätze, die krampfiges Gehudel nicht brauchen.

Charmantester Ort der Stadt ist der Martinsplatz, falls man nicht um die Ecke geht oder guckt, wo das typische Kleinstadt-Fußgängerzonen-Grauen droht. Nur einen Steinwurf von der Fan-Meile und dem Fan-Zentrum entfernt, sollte man hier im Schatten der mächtigen Kastanie beim Rauschen des Sandsteinbrunnens einen Kaffee trinken. Zweiter lauschiger Ort mit kontemplativer Atmosphäre ist der gelungene japanische Garten, gleich neben dem WM-Büro.

Sehen muss man auch das Rathaus, ob man will oder nicht, denn mit seinen 122 Metern Höhe überragt es alle Gebäude der Stadt, zudem wird es abends blau und grün illuminiert. Von hier verläuft die offizielle „Achse der Fans“ hinüber zum Stadion auf dem Betzenberg. Dominanter noch als das Rathaus thront diese gigantische Betonfestung bedrohlich über dem Städtchen. Fritz-Walter-Stadion heißt sie, nach dem Kapitän der 54er Weltmeister, Adresse: Fritz-Walter-Straße 1. Walter heißt das wöchentlich erscheinende WM-Magazin, Walterelf die erfolgreichste Band der Stadt (Punkrock, Vorläufer der Spermbirds), Stammhaus Walterelf das einzige spanische Restaurant, Fritz-Walter-Stammtisch ein Behelfs-Biergarten vor der Stiftskirche. Walter über alles, Walter ist der Vorname Kaiserslauterns.

Walter Kaiserslautern ist italophil. 58 italienische Restaurants gibt es hier, mehr dürfte man auch in einer vergleichbaren italienischen Kleinstadt nicht finden. Und weil Konkurrenz das Geschäft belebt, kann man in Lautern gut und günstig italienisch essen. Immerhin liebte schon der Walter-Fritz das Italienische, er war verheiratet mit einer Italienerin namens Italia. Wer seinen Organen aber die Verdauung eines Pfälzer Saumagens oder einer große Schlachtplatte zutraut, der gehe ins Spinnrädl in einem schönen Fachwerkhäuschen aus dem 18. Jahrhundert mitten in der Stadt mit lecker Schweinkram und amtlichen Pfälzer Weinen.

Der Hang zum Italienischen kam allerdings schon lange vor der Walterisierung. 1843 ließ der Architekt August von Voit hier den florentinischen Palazzo Medici nachbauen, gleich nach dem Richtfest wurde er 1849 Sitz der pfälzischen Revolutionsregierung, später Markthalle. Heute heißt der gefakte Renaissance-Palast Fruchthalle und ist die gute Stube der Stadt, direkt neben der Fan-Zentrale.

Zentraler Treffpunkt ist der Stiftsplatz, dort heißt es mit 6.000 Fans Fußball auf Großbild gucken, nebenan im Pfälzer Weindorf an der Stiftskirche literweise sponsorenfreie Weinschorle trinken oder sich durch die 67 feilgebotenen Pfälzer Weine probieren. Gäste, die nicht mehr zur Unterkunft finden, können sich von den gastgebenden Freunden und Helfern in Uniform in die nahe Augustastraße chauffieren lassen, zum Ausnüchterungszelt des Roten Kreuzes. Wer festes Mauerwerk bevorzugt, randaliere noch ein wenig und darf ins Nachbardorf Enkenbach. Jedem Gast werden dort in einer umgerüsteten Kfz-Halle 3,5 Quadratmeter Fläche garantiert, streng nach den EU-Folterrichtlinien.

Grund zum Trinken gibt es neben dem zu erwartenden Auftritt der deutschen Mannschaft wahrlich genug, etwa der Anblick einer grandiosen Hotel-Bauruine am Stiftsplatz, ein Denkmal für einen typischen Verlauf der WM-Hysterie in der Provinz: Euphorie, Größenwahn, Baurausch, Rückzieher der Investoren, Kater, Ausnüchterung. Auch hier hat man den schönsten Plan verworfen, die Verpackung des Beton-Rohbaus nach Christo-Art.

Blasierte Weinschorleverächter meiden den Stiftsplatz und gehen zum alten Theaterplatz ins „Circensische Gourmet-Varieté“. Schlappe 99,50 Euro kostet die Gala im Zelt, das Menu wird zubereitet von den Scharff-Brüdern Martin und Peter, Sterneköchen der nahen Wartenberger Mühle. Wer zum Eröffnungsspiel auf Bulettenniveau neben drei weiteren Gängen Kaninchen-Pfifferlings-Ravioli auf jungem Kohlrabi im Bärlauchsud mümmeln will, ist hier richtig. Weil Fußball nicht alles sein kann, versprechen die Herren Scharff noch Spitzenakrobaten auf der Bühne, das „mit Sängerin besetzte Salto Culinare Orchester“ und „humorvolle Comedy“.

Gut zu wissen, humorlose gibt es ja zuhauf hierzulande. Und wer noch immer nicht genug Fußball gesehen hat, wem die WM-Spiele zu schnell sind oder wer sie, Bärlauchsud schmatzend, verpasst hat, der kann sich am 16. Juni auf dem Trainingsgelände des FCK kickende Köche (u. a.: Peter Eiermann, Gebrüder Scharff) gegen FCK-Ex-Profis aus besseren Zeiten (Mario Basler, Martin Wagner) antun. Der Vorteil: Er verpasst den großen Etikettenschwindel mit Xavier Naidoo, Heino Ferch, Peter Lohmeyer und anderen Chargen der deutschen Populärkultur, die am gleichen Tag im Pfalztheater ein „World-Football-Concert“ geben.

Wer aber des Fußballs wegen kommt, der wohnt im Fan-Camp in einem großen Gemeinschaftszelt. Wo Köche Eiermann und Scharff heißen, da ist der Kniebrech der ideale Platz für ein Fan-Lager, direkt am Fuße des Betzenberges. Eine Übernachtung inklusive Duschen, Frühstück und Surfen (Internet) kostet weniger als 20 Euro. Hier ist der Ausgangspunkt der wahren Achse der Fans, sie führt über das Stadion, das Stammhaus Walterelf, den Stiftsplatz bis zur Ausnüchterung nach Enkenbach.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen