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Die Schöne im Tiergarten

SCHLICHTE ELEGANZ Die Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg wird 50. Der Architekt Werner Düttmann hat hier 1960 ein Meisterwerk erbauen lassen: modern, schön, funktional – eine Chiffre des freien Westberlin. Bald wird sie renoviert und muss sich neu erfinden

Eine Art geistiges und architektonisches Anti-Event-Konzept – eine Klause inmitten des Kulturbetriebs

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Früher waren es Kanzeln, von denen herunter gepredigt wurde. Es gehörte zur Inszenierung des Wortes, dass man gebannt zum Redner aufschauen musste. In der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg wird diese Tradition noch immer gepflegt. So hält der Präsident bei den jährlichen Mitgliederversammlungen die „Treppenrede“. Walter Jens, György Konrád oder Adolf Muschg haben von der Haupttreppe herunter die Künstler auf den jeweiligen Abend eingestimmt. Auch der Graphiker Klaus Staeck, seit 2006 Präsident der Akademie der Künste, polterte kürzlich zur 35. Plenartagung von der Treppenhöhe über die bedrohte Freiheit der Kunst, den Niedergang der Politik im Allgemeinen und die modernen Bankräuber im Besonderen.

Dass niemand unter den 384 Akademiemitgliedern sich von der Treppenrede eingeschüchtert zeigte, dürfte mit der Treppe selbst zusammenhängen. Wer die Akademie der Künste am Hanseatenweg betritt – vorbei an Henry Moores „Liegender“, ein paar Schritte durchs gläserne Foyer und vor sich die Weite zweier Eingangshallen mit Durchsichten auf Gartenanlagen und den grünen Tiergarten –, blickt auf eine breite Treppe. Eigentlich ist sie ein aufsteigender Steg, der zu den drei Ausstellungssälen im Obergeschoss führt.

So frei, wie diese Himmelsleiter im Raum schwebt, so offen und cool, schwungvoll und bequem im Tritt, kann gar nichts Einschüchterndes von ihr ausgehen. Schon darum pflegt jeder Präsident, auch Staeck, hier einen humorvollen Ton bei aller Ernsthaftigkeit des Themas.

Symbol des liberalen Berlin

Seit jetzt 50 Jahren beginnt jeder Akademiebesuch mit diesem dramatischen Entree. Seit 1960, als der Bau nach NS-Zeit, Krieg und Spaltung in Ost- und Westeinrichtungen für die „West-Berliner Akademie der Künste“ nach den Plänen von Werner Düttmann (1921 bis 1983) eröffnet wurde, kann man sich durch das offen komponierte Haus treiben lassen – die Treppe hinauf in das Galeriegeschoss, durch die Hallen und Ateliers, den Theatersaal, die Studios, Clubräume und Foyers sowie vorbei an begrünten Innenhöfen und Wasserbecken, die Gartenarchitekt Walter Rossow entwarf. Viel Glas, helles Holz, Bodenbeläge in Schiefer, roher Beton, roter Backstein und viel weiße und etwas blaue und grüne Farbe bilden die festen Stoffe für das dreigliedrige Ensemble und dessen schlichte Eleganz.

Nicht nur wegen der Materialität und Form dauerte es nur kurze Zeit, bis die Akademie Düttmanns – gleich der Kongresshalle oder der Freien Universität – zum Symbol für das liberale, freie Westberlin avancierte, mit Geldern aus den USA ermöglicht.

Carolin Schönemann ist „Sekretär, nicht Sekretärin“ der Abteilung Baukunst in der Akademie der Künste. Geht man mit ihr durch die drei um ein Atrium gruppierten Gebäudeteile – den trapezförmigen Bühnensaal unter den berühmten gezackten Kupferdächern, den angehobenen, rechteckigen Archiv- und Ausstellungsblock aus Waschbeton mit insgesamt 2.000 Quadratmeter Fläche und die fünfstöckige Verwaltungsscheibe mit Büros, Appartements und Ateliers –, befindet man sich auf einer „Promenade d’architecture“ im Le Corbusier’schen Sinne. Architektur und Natur, innen und außen, Transparenz und Geschlossenheit verweben sich zu einer dramatischen Einheit. Der fließende Grundriss führt einen wie im Slalom durchs Haus, Architektur wird hier zur Geometrie, dort zur Landschaft. Architektur wird Bild, Skulptur, Raum.

Düttmanns Haus, sagt Schönemann, sei damals etwas absolut Neues gewesen, eine bauliche Chiffre des Neuanfangs sowie ein funktionales Gebäude für alle Bedürfnisse der Akademie und ihrer fünf Sektionen Musik, Literatur, Schauspiel, Bildende Kunst und Baukunst. Hatte man früher Akademien in alte Adelspalais gestopft, „erfand Düttmann die Akademie als Arbeits- und Repräsentationsort, ja als einen Campus für die Künstlersozietät“.

Als 2005 die seit dem 17. Jahrhundert existierende, fürstliche, dann preußische und ab 1993 wiedervereinigte Akademie der Künste Berlin-Brandenburg an ihrem alten Standort am Pariser Platz den Neubau bezog, befürchteten viele das Ende des Hanseatenwegs. Es gab Forderungen, den repräsentativen Glaspalast des Architekten Günter Behnisch am Brandenburger Tor als ersten Dienstsitz des Präsidenten wieder aufzugeben, um die Schöne im Tiergarten nicht im Dornröschenschlaf versinken zu lassen.

Sicher, Fettschlachten und Farb-Performances wie die mit Joseph Beuys, Mammutschauen über die Kunst der Weimarer Jahre, Bauhaus-Tänze, Klanginstallationen, Architektur-Events à la Julius Posener oder 9-Stunden-Filmveranstaltungen wie bei Claude Lanzmanns „Shoah“, bei der die harten Sitze ebenso wehtaten wie die Dokumentation, sind seltener geworden. Lesungen, Debattierrunden, Künstlerzirkel und Ausstellungen auch. Dafür wurde die Junge Akademie ausgebaut, weitere Stipendiatenprogramme und experimentierfreudigere Schauen sind in den Hanseatenweg gezogen. Auch ein paar Großveranstaltungen sind dem Düttmann-Bau treu geblieben, etwa Klaus Staecks Lieblingskind „Akademiegespräche“, wo über Grass’ SS-Mitgliedschaft, Kunst und Politik oder neuen Nationalismus vor vollem Haus gestritten wird.

Architektur und Natur, Transparenz und Geschlossenheit verweben sich zu einer dramatischen Einheit

Die Stadt von morgen

Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Hanseatenweg seit 2005 die zweite Geige spielt. Und 2011, wenn die 6,2 Millionen Euro teure Sanierung des zum Teil maroden Hauses beginnt und es schließt, wird sich eine wirkliche Stille über den Ort legen. Diese wieder abzuschütteln und das Haus mit Kunst zu verlebendigen, wird ein neues klares Profil und Konzept erfordern. Es muss sein.

Düttmanns Akademie-Campus war 1960 der Schlussstein im neu errichteten Hansaviertel, für das der Architekt auch die wunderbare Hansa-Bibliothek entwarf. An manchen Abenden, bei tief stehender Sonne, erinnert das Hansaviertel an Brasília. Ein wenig jedenfalls. Die Häuser werfen lange Schatten und zeichnen abstrakte Konturen in den Raum. Straßen und Plätze formen Linien und Flächen, die aufgestelzten Bauten wandeln sich zu Figuren, Volumen zu Skulpturen. Für die Architekten, darunter Le Corbusier, Walter Gropius, Alvar Aalto oder Brasília-Miterbauer Oscar Niemeyer, bildete die Hochhaussiedlung im Tiergarten neben dem städtebaulichen und sozialen ein ästhetisches Konzept. Die Stadt von morgen, die im Rahmen der „Interbau“ 1957/58 als westliche Antwort auf die Ostberliner Stalinallee (1953) entstand, verkörperte als „geformte Gestalt“ die Visionen des Aufbruchs, der Moderne und des International Style.

Es ist kein Geheimnis, dass diese städtebauliche Künstlichkeit, die Bauten im Grünen und die modernistischen Architekturen des Wiederaufbaus in Berlin bis heute einigen als Bausünde, das Hansaviertel als „seelenlose Architektur“ gelten. Gerade Düttmanns Akademie ist das Gegenteil von seelenlos – nicht weil es kaum weniger modern wäre als die direkten Nachbarn aus Stahl, Glas und Beton. Nein, Düttmanns Bau hat auch nach 50 Jahren nichts von seiner Radikalität und schnittigen Schönheit eingebüßt – voller Bilder und Erzählungen aus der Baugeschichte. Klaus Staeck hat eine davon auf der erwähnten Treppenrede in die Erinnerung gerufen: Düttmann, so Staeck, habe eine Form gesucht, die dem öffentlichen Charakter der Künstlersozietät mit einen privaten, „wo man im Stillen wirken kann“, begegnet. „Für diesen Zweck hatten Düttmann und Rossow dieses Haus einst wie ein weltliches Kloster, mit Gängen und Gärten und Appartements, als einen Ort des Rückzugs angelegt. Eine Art geistiges und architektonisches Anti-Event-Konzept“ – eine Klause inmitten des Kulturbetriebs.

Dieses zeitgemäß-unzeitgemäße Bauwerk ist es bis heute geblieben: klösterlich, unbedingt weltlich, ein Zeichen für die bundesdeutsche Kultur in der Nachkriegszeit und im Kalten Krieg.

Ausstellung: Die Akademie der Künste am Hanseatenweg – Einblicke in die Geschichte einer Institution und eines Hauses, bis 31. 12.

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