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Anspannung nach dem Sturm

KIRGISIEN Die provisorische Präsidentin Rosa Otanbajew versucht die Kirgisen im Süden des Landes zu beruhigen – mit wenig Erfolg

AUS OSCH MARCUS BENSMANN

Hundert aufgebrachte Kirgisen verstellen Rosa Otanbajew den Weg zum Militärhubschrauber. Der Helikopter wartet neben dem Lenindenkmal auf dem Vorplatz der Provinzverwaltung in der südkirgisischen Stadt Osch. Die provisorische Präsidentin Kirgisiens steht in einer schusssicheren Weste eingezwängt von Sicherheitskräften und wild gestikulierenden Menschen. Ein schwarzer Schirm schützt die kleinwüchsige Frau vor den brennenden Sonnenstrahlen. Der schwarze Pagenschnitt der Kirgisin reicht kaum bis zu den Schultern der sie umgebenden Leibwächter. Über eine Flüstertüte versucht Otunbajewa vergeblich die kleine, aber äußerst aggressive Menge zu beruhigen. Erst eine Woche nach dem Ausbruch der ethnischen Unruhen in den kirgisischen Südprovinzen, in deren Verlauf es hunderte Tote und tausende Verletzte gab, ganze usbekische Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt wurden und über 100.000 Usbeken in das benachbarte Usbekistan geflüchtet sind, besuchte Otunbajewa die südlichen Unruheprovinzen.

Alle Zufahrtswege zu den usbekischen Vierteln, die den viertägigen Zerstörungssturm überlebt haben, sind mit gefällten Bäumen und umgedrehten Anhängern oder Lkws verbarrikadiert. Einige Kirgisen halten Fotos von Männern hoch, die seit Tagen verschollen sind. Einige usbekische Gemeinschaften haben Kirgisen gekidnappt, um sich so einer Plünderung zu erwehren. Kirgisische Menschenrechtler sind gerade in der Stadt und versuchen über den Verhandlungsweg diese Menschen freizubekommen.

Otunbajewa und der Militärkommandant von Osch versprechen, dass die Barrikaden in wenigen Tagen geräumt sein sollen. Ein Sprecher des Militärs versichert, dass dieses in Verhandlungen geschehen werde, aber die Usbeken hinter den Barrikaden trauen den kirgisischen Sicherheitskräften nicht und warten vergebens auf humanitäre Hilfe.

Die Kirgisen lassen sich von der Präsidentin nicht beruhigen. Otunbajewa wird von ihren Sicherheitsleuten wieder zurück ins Gebäude bugsiert. Der Hubschrauber fliegt ohne die Präsidentin weg. Erst nachdem sich die Lage beruhigt hat, kann sie die Stadt verlassen.

Nach wie vor will Otunbajewa am 27. Juni das Verfassungsreferendum durchführen, und dazu braucht sie die Unterstützung der kirgisischen Klans im Süden. Denn nur mit Hilfe des Referendums hofft sie die im Aprilaufstand errungene Macht legalisieren zu können. Trotz der Spannungen und der Gefahr eines Wiederaufflammens der Unruhen glaubt Otunbajewa, auch in Osch auf den Einsatz internationaler Friedenstruppen verzichten zu können.

Die Kirgisen auf dem Platz und in der Stadt fühlen sich schlecht behandelt. Aggressiv zischen sie vor allem die internationalen Journalisten an, denn sie sehen sich als die eigentlichen Opfer. Die Usbeken hätten in der Nacht zu Freitag angefangen, geplündert, geschossen und vergewaltigt, und was dann geschah, sei die Reaktion der Kirgisen gewesen, erklärt aufgebracht ein Kirgise.

Die Brandruinen usbekischer Gehöfte, auf denen das kirgisische Schimpfwort „Sart“ für Usbeken steht, und die unversehrten Häuser, die sich mit einem Schriftzug „Kirgise“ schützen konnten, sagen etwas anderes.

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