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„Politik ist ein Männer und Frauen mordendes Geschäft“

DER STRIPPENZIEHER Volker Hassemer kennt den Politbetrieb von allen Seiten. Er saß als Umwelt- und Kultursenator in der Regierung und kümmerte sich später um Marketing und Wirtschaftsförderung der Stadt. Heute arbeitet der 69-Jährige mit seiner Stiftung Zukunft Berlin daran, die Bürger an der Stadtentwicklung zu beteiligen – als Korrektiv der Politik

Volker Hassemer

■ geboren 1944 in Metz, ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin. Immer wieder mischt sich die Stiftung in Berliner Debatten ein – zuletzt in die Diskussion über die Mitte Berlins oder einen Nelson-Mandela-Platz.

■ Von 1981 bis 1989 war der CDU-Politiker zunächst Umwelt-, dann Kultursenator in Westberlin. Als Stadtentwicklungssenator setzte er sich mit den Investoren am Potsdamer Platz auseinander und initiierte das Stadtforum.

■ Nach dem Abschied aus der Politik war Hassemer von 1996 bis 2002 Geschäftsführer der Marketing-Organisation Partner für Berlin.

■ Hassemer ist überzeugter Europäer. Deshalb organisiert seine Stiftung eine Europa-Rede, die zuletzt Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rats, hielt. Ein weiteres Thema wird Wroclaw/Breslau als europäische Kulturhauptstadt 2016 sein. (wera)

INTERVIEW UWE RADA FOTOS KARSTEN THIELKER

taz: Herr Hassemer, Sie sind Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin. Was wird uns denn das Jahr 2014 in Berlin bringen?

Volker Hassemer: Ich habe im Augenblick ein gutes Gefühl für Berlin. Die Entwicklung, die die Stadt macht, ist positiv. Das wird sich 2014 fortsetzen.

2014 wird für Sie ganz persönlich etwas bringen: Sie werden am 20. Januar 70 Jahre alt. Andere widmen sich da ihren Rosen oder dem Weinkeller.

Nichts gegen Rosen, und auch nichts gegen einen Weinkeller: Aber es ist für mich schöner, mich mit Berlin zu beschäftigen.

Was läuft denn derzeit richtig gut in Berlin?

Besonders spannend ist der Umgang Berlins mit seiner Mitte. Wir hatten bislang eine nicht geklärte Mitte. Es ist faszinierend, dass sich Berlin nun darüber klar werden kann, was es in Zukunft mit seiner Mitte will.

Sie haben einmal gesagt, die Mitte der Stadt im Mittelalter war die Kirche, später war es die Politik. Was zeichnet denn die Mitte einer Stadt im 21. Jahrhundert aus?

Die Mitten der großen Städte sollten künftig der Welt gehören. Sie sollten nicht mehr einer Religion gehören, auch nicht einem Nationalstaat und, gerade in einer Stadt mit der Größe Berlins, keinem Rathaus. In dieser zusammengerückten Welt sind Städte gut beraten, ihre Mitte dieser Welt zu öffnen.

Wird das Humboldt-Forum diesem Anspruch gerecht?

Wir haben in unserer Geschichte zwei außergewöhnliche und international hochgeachtete Namen, die Gebrüder Humboldt, die ein ganz großer Erinnerungs- und Ermutigungsschatz sind. Es ist völlig richtig, nach ihnen das Humboldt-Forum zu benennen. Da gibt es Potenziale, die noch lange nicht ausgeschöpft sind.

Sie sagen, die Mitte der Stadt soll der Welt gehören. Nun war es gerade diese Welt, der zahlreiche Exponate gehörten, die im Humboldt-Forum in der Sammlung außereuropäischer Kulturen ausgestellt werden sollen. Es gibt den Vorwurf, das sei Beutekunst. Und es gibt die Kritik, dass der Blick auf die Welt auch durch die Brüder Humboldt ein kolonialer gewesen sei.

Als diese Objekte gesammelt wurden, war das ein kolonialer Blick Europas gegenüber dem Rest der Welt. Gerade aber die Humboldts sind in einer aufklärerischen Form damit umgegangen, vor allem Alexander von Humboldt. Da war keine Überheblichkeit, sondern ein großes Interesse. Interesse heißt auch Achtung. Deshalb ist der Name Humboldt auch ein Auftrag, angesichts einer solchen Erinnerung eine neue Reife für die Gegenwart und die Zukunft zu finden.

Das heißt, das Humboldt-Forum stünde in einer Reihe mit dem Musée du quai Branly in Paris oder dem Mucem in Marseille?

Es geht einen Schritt weiter. Es thematisiert nicht nur die angemessene Behandlung dieser Vergangenheit, sondern öffnet auch einen Blick in die Zukunft. Die Humboldts waren keine Historiker, sondern sind damals in eine für sie unbekannte Welt gegangen. In der Berliner Mitte wird es also auch darum gehen, wie sich die Kulturen der Welt heute zueinander verhalten. Und diese Kulturen sollten wissen, dass wir die Objekte, die wir von dort haben, so ehren und für so wichtig halten, dass wir sie in die Mitte unserer Stadt stellen. Das ist eine Geste der Achtung und Verneigung.

Sie sind in den sechziger Jahren nach Westberlin gekommen. Sie haben dann in den siebziger Jahren im Umweltbundesamt gearbeitet. Erinnern Sie sich an Ihren ersten Eindruck von der Stadt?

Ich bin nach Berlin gekommen, um hier mein zweites juristisches Staatsexamen zu machen. Erst dann habe ich gemerkt, das ist der richtige Platz für mich. Es war ein Gefühl, das ich gar nicht beschreiben kann. Aber ich wusste, es ist der richtige Ort.

Trotz oder wegen der 68er Bewegung?

Beides. Ich gehörte nicht dazu. Aber ich habe es erlebt, habe den Debatten in den Hörsälen zugehört, es war ein gewaltiges Ereignis.

Die Politisierung …

… und der Anspruch, der damit verbunden war, und die Gewissheit, die ich für Hybris hielt. Aber es war gleichwohl gewaltig.

Hat denn 68 das Land lebenswerter und demokratischer gemacht?

68 hat Deutschland vorangebracht.

1981 sind Sie für die CDU Umweltsenator geworden. Davor hatte es den Garski-Skandal gegeben, der die SPD die Macht gekostet hat. Aber auch die CDU hatte im geschlossenen System Westberlin ihre Skandale. Hat die Teilung dazu geführt, dass die Stadt ein Selbstbedienungsladen der Politik wurde?

Man kann es auch anders sehen. Die Politik hatte eine sehr enge Verbindung mit der Gesellschaft. Sie war auch Resultat einer sich zusammenschließenden Westberliner Gesellschaft. Das war schon eine Korporationsgesellschaft. Das hatte den Grund, das man sich von außen bedroht fühlte und man sich zusammentun musste. Das hat vor allem die Sozialdemokratie als die Partei, die bis 1981 regierte, vorangetrieben. Ich kritisiere das aber ausdrücklich nicht.

War es also alternativlos?

Solche Entwicklungen kommen immer dann in die Krise, wenn die Verantwortlichen nicht erkennen, dass derartige Formen des Zusammenrückens nicht mehr nötig sind. Dann blickt man zurück und fragt sich: Wie konnte das bloß sein? Das ist das Tolle an Berlin: Hier fangen die Zeiten immer wieder neu an.

1981 war eine solche Zeitenwende: Die Alternative Liste zog ins Abgeordnetenhaus, Richard von Weizsäcker und die CDU lösten den Stobbe-Senat der SPD ab. Ein Regierender Bürgermeister von außen und ein Stadtentwicklungs- und Umweltsenator, der keinen CDU-Stallgeruch hatte – das hätte scheitern können.

Das ist doch das Wunderbare. Wer ein Experiment eingeht, das nicht scheitern kann, geht keines ein. Aber Sie haben schon recht. Wir haben das selbst gespürt, dass das etwas Besonderes war. Aber Weizsäcker war nicht nur von außen, er war einfach eben auch Weizsäcker. Andere, wie Hans-Jochen Vogel, hatten es da schwerer. Weizsäcker gab mir auch die Freiheit, den Umweltbereich so zu denken, wie es für mich zeitgemäß war. Ich musste nicht durch die Kompromissmühle der Partei. Das war mutig.

Sie haben die Freiheit genutzt, auch als Sie 1984 Kultursenator wurden und 1987, zur 750-Jahr-Feier, mit der Ausstellung „Mythos Berlin“ einen ganz anderen Blick auf die Stadt gewagt haben. Wie hat denn die CDU in Westberlin auf Volker Hassemer reagiert?

Die Ausstellung war ein Wagnis. Aber an diesem Ort, dem ehemaligen Anhalter Bahnhof, war wohl nur ein Wagnis möglich. Wenn ich da die CDU oder die Politik überhaupt gefragt hätte, wäre das wohl nicht gegangen. So habe ich als Kultursenator immer gearbeitet. Vieles in der Kultur ist nicht im Mehrheitsrhythmus zu realisieren. Das ist nicht überheblich, sondern Realität. Und vielleicht ist es der Anspruch eines persönlichen Avantgardismus. Kulturpolitik ist am besten aufgehoben, wenn sie im Parlament nicht vorkommt.

Gilt das auch für Klaus Wowereit?

Er macht es in Teilen genauso. Er fragt seine Partei auch nicht. Er setzt sich durch. Aber natürlich ist die Form eine andere, weil er seine Macht nicht nur als Kultursenator, sondern auch als Regierender Bürgermeister ausspielen kann. Diese Macht hatte ich nicht.

Aber gegenüber der Beratung von außen ist er resistent. Sie dagegen haben sich diese Beratung mit dem Stadtforum geradezu organisiert. Auch aus der Erkenntnis heraus, dass Politik alleine scheitern muss, weil sie immer nur in den kurzen Abständen zwischen den Wahlen stattfinden kann?

Wenn man mit anderen gesprochen hat, weiß man immer mehr als zuvor. Das ist ja auch der Grund, warum ich hier bei der Stiftung bin. Politik hat strukturelle Erfolgsgrenzen. Das ist auch der tägliche Druck durch die Medien oder der eigenen Partei. Dabei muss der politische Akteur immer wieder an sich denken. Auch die Parteien müssen an sich denken. Alles andere wäre nicht politisch. Und beide wiederum müssen permanent die Botschaft nach außen senden: Wir denken nur an die Sache.

Die Expertise aus der Zivilgesellschaft, die Sie sich als Senator organisiert haben, haben Sie in diesem Jahr mit dem Forum Stadtspree erneuert. Auch da war die Politik alleine nicht weitergekommen. Was hat dieser runde Tisch gebracht?

Viel. Inzwischen ist aus dem Forum Stadtspree ein Beirat entstanden, in dem alle sitzen, die an der Spree Verantwortung tragen: Eigentümer, Clubs, Politik, Verwaltung. Wenn wir für unser Gemeinwesen erfolgreich arbeiten wollen, müssen wir Methoden finden, die relevante bürgerschaftliche Einflüsse, quasi als Energiezuflüsse, organisieren.

Den Konflikt um das Living-Levels hinter der East Side Gallery haben Sie nicht lösen können.

Da gab es seit langem eine Baugenehmigung. Aber die Zusammenarbeit im Forum führte dazu, dass es ein Gespräch zwischen den Käufern und den Clubs geben wird, damit es da nicht in Zukunft weiteren Streit um das Thema Lärm gibt.

Haben Sie es eigentlich mal erlebt, dass Politiker, wenn Sie auftauchen, sagen: Oh Gott, schon wieder der Hassemer? Der strengt an, weil er einen ständig fordert?

Ja. Politik ist alleine schon anstrengend. Das ist ein Männer und Frauen mordendes Geschäft. Und jetzt kommt dann auch noch …

der Hassemer.

Oder jemand anders. Aber ich bin da wohl besonders anstrengend. Deshalb plädiere ich, auch mir selbst gegenüber, für mehr Geduld.

Ihre Stiftung hat sich mittlerweile zu einem Thinktank entwickelt, der sich vieler verschiedener Themen annimmt. Wie sind Sie auf die Idee mit der Stiftung Zukunft Berlin gekommen?

Ich bin begeistert von Demokratie. Und auf der anderen Seite gibt es diese systemimmanenten Erfolgsgrenzen im Parteiensystem. Und: Die Leute geben bis zu 50 Prozent ihres Geldes an Steuern an den Staat, damit der arbeitet. Aber sie geben null Prozent ihres Gehirnschmalzes. Das kann nicht gutgehen. Also habe ich mir schon während meiner Arbeit als Politiker gesagt: Darum wirst du dich kümmern.

„Wer ein Experiment eingeht, das nicht scheitern kann, geht keines ein“

Sie sind dann aber zunächst Geschäftsführer von Partner für Berlin geworden.

Das war eine Zwischenphase. Als ich 2002 bei Partner für Berlin raus bin, hab ich einfach mit der Stiftung angefangen. Dann habe ich Dieter Rosenkranz als Sammler getroffen, der mir eine Halbtagskraft finanziert hat. Wir haben dann einen Verein gegründet. Und wir hatten ein Büro. Dann ging es los.

Sie sind schnell gewachsen.

Nach vier Jahren haben wir gesagt: Da ist jetzt Stabilität, das sollten wir auch organisatorisch stabiler machen, so kam es zur Stiftung. Insgesamt arbeiten heute über 300 Leute an ganz unterschiedlichen Themen. Gerade haben wir in einer Gruppe über das Kulturforum gesprochen. Das machen andere auch, aber bei uns geht es immer ganz konkret darum, was als Nächstes geschehen muss, wen man kontaktieren muss, was die nächsten Entwicklungsschritte sind, um die Dinge auf einen besseren Pfad zu bringen.

Keine Laberbude also, sondern vor allem ergebnisorientiert.

Es geht immer darum, wie wir die Dinge verändern können. So kam auch die Idee mit dem Nelson-Mandela-Platz vor dem Humboldt-Forum. Ich habe es mir da nicht leicht gemacht. Kaum ist einer gestorben, schon kommt der Vorschlag. Normalerweise mache ich so was nicht. Aber es gibt da dieses große Problem in der Wahrnehmung des Humboldt-Forums: Da denken sowohl die Politiker als auch die Bevölkerung zunächst immer zuerst an das Schloss. Das würde noch verstärkt werden, wenn der Platz davor weiter nur Schlossplatz heißt. Der Charakter, den das Humboldt-Forum haben muss, wäre mit Nelson-Mandela-Platz unübertrefflich gut beschrieben.

Damit würde sich auch ein Kreis schließen.

Und die Gefährdung mit dem kolonialen Denken wäre widerlegt. Auch auf das Humboldt-Forum hätte ein solcher Vorplatz großen Einfluss.

Im Mai könnten die europaskeptischen Parteien gestärkt aus der Europawahl hervorgehen. Sie haben die Initiative Soul for Europe mitbegründet. Was ist denn der Geist Europas?

Es ist die Vielfalt der Kulturen im Geist gemeinsamer Verantwortung.

Auf der anderen Seite gibt es die Tendenz, dass in vielen Ländern die Eigeninteressen in den Vordergrund gestellt werden. Sind Sie denn, was Europa angeht, genauso optimistisch wie in Bezug auf Berlin?

Wäre alles in Ordnung, könnte ich mich an die Riviera legen oder tatsächlich Rosen züchten. Der Grund, warum ich mich so ins Zeug lege, ist ja, dass die Dinge nicht in Ordnung sind. Aber ich bin auf der anderen Seite davon überzeugt, dass sie, schrittweise, in eine bessere Ordnung zu bringen sind. Für Europa heißt das: Wir müssen wegen der Vielfalt auch das Nationale und das Regionale respektieren. Ja, wir dürfen es bewundern, müssen aber zugleich auf der Gemeinsamkeit in Vielfalt bestehen.

Haben Sie überhaupt ein Privatleben?

Ja, normalerweise komme ich erst gegen elf in die Stiftung. Zuvor habe ich Zeit, Zeitung zu lesen und nachzudenken. Ich schlafe auch deutlich länger als in meiner Zeit als Senator. Nur wegen der taz musste ich diesmal um zehn kommen.

Das tut uns leid. Aber im Ernst: Gibt es so was wie eine Exit-Strategie für Sie?

Die gibt es. Wir haben bereits 2013 in der Stiftung 15 Leute etabliert, die jetzt für Einzelthemen verantwortlich sind. Im Vorstand haben wir außerdem eine feste Stelle geschaffen. Die Aufgaben werden also breiter verteilt.

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