piwik no script img

„Man muss ehrlich und berechenbar sein“

AN DER SPITZE Katharina Ries-Heidtke vertritt beim Asklepios-Konzern die Interessen von 40.000 Beschäftigten. Ein Gespräch über Verantwortung, Kompromisse und die Zumutung der Privatisierung

Katharina Ries-Heidtke

■ 59, Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende Asklepios Kliniken Hamburg, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Gesamtkonzern. Gelernte Krankenschwester.

taz: Wie begehrt ist das Amt der Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, Frau Ries-Heidtke?

Katharina Ries-Heidtke: Das ist eine Machtfrage, wie viele andere Führungsaufgaben auch. Ich habe auch Machtlust und denke nicht, dass Macht prinzipiell gefährlich ist. Natürlich gibt es auch andere Menschen, die Interesse an diesem Amt haben, aber das finde ich gut.

Sie wachen über die Arbeitnehmerinteressen von mehr als 40.000 Mitarbeitern. Wie sind Sie in diese Verantwortung hinein gewachsen?

Die acht Jahre als Personalratsvorsitzende in Altona waren eine gute Schule. Der Geschäftsführer war ein Kaufmann. Er war zwar auf Sparkurs, aber berechenbar. Dort habe ich gelernt, wie wichtig Letzteres ist. Um Interessenvertretung zu machen, muss man ehrlich, offen und berechenbar sein.

Was beschäftigt Sie derzeit?

Der Konzern hier in Hamburg möchte eine Patientenbefragung durchführen. Wir prüfen, ob das der Mitbestimmung unterliegt. Wir sind nicht per se gegen Befragungen, aber es dürfen daraus keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen für die Beschäftigten in den Krankenhäusern folgen.

Warum sollte das eine Gefahr sein?

Alle haben Arbeitsnot, weil die Personaldecke dünn ist. Angestellte könnten die Sorge haben, dass sich die Patienten möglicherweise sogar berechtigt beschweren. Es ist dann ein Leichtes nachzusehen, wer verantwortlich war, ohne dabei die Ursache zu untersuchen.

Wie haben Sie die umstrittene Privatisierung des Landeskrankenhausbetriebs erlebt?

Für mich persönlich war das sehr schwer. Ich habe mich für den Volksentscheid eingesetzt, viel Kraft und Zuversicht investiert. Ich habe mir nach dem Scheitern dann überlegt, ob ich gehen sollte. Letztendlich entschied ich mich zu bleiben, weil ich im LBK die guten Zeiten der Mitbestimmung erlebt habe.

Wie haben Sie und Ihre Kollegen sich dann arrangiert?

Wir haben uns schwergetan, uns der Realität zu stellen. Denn wir sind von einer hohen Mitbestimmungs- und Mitgestaltungskultur erst mal tief gefallen. Dass unsere Situation vor der Privatisierung nicht überall die Norm, sondern ein Privileg war, haben wir erst im Laufe der Umstellung verstanden.

Wo gab es Konflikte?

Wir mussten in einem System arbeiten, das wir ablehnten. Meine inneren Widerstände gingen soweit, dass ich zwei Jahre lang keine Visitenkarte von mir hatte, weil ich es nicht ertragen konnte, mit dem Asklepios-Emblem herumzulaufen. Ich kenne heute noch Kollegen, die nicht aus den Asklepios-Wassergläsern trinken. Schließlich haben wir die Realität angenommen, aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass Krankenhäuser nicht privatisiert gehören. Gesundheit ist eine öffentlich-rechtliche Aufgabe.

Sie haben Ihre berufliche Laufbahn in der Krankenpflege begonnen – wie kam es, dass Sie Betriebsrätin wurden?

Ich war schon immer eine eingefleischte Gewerkschafterin. Ich bin der Überzeugung, dass ohne gewerkschaftlichen Hintergrund die Arbeit im Betriebsrat nicht zu bewältigen ist. 1981 bin ich dann bei der Wahl gescheitert. Ich bekam keinen Listenplatz, weil ich wohl zu links und zu radikal war. 1985 änderte sich das – ich bekam einen guten Listenplatz und bin seitdem freigestellt als Vorsitzende. Dann wurde ich 1993 Gesamtpersonalratsvorsitzende.

Vermissen Sie die Arbeit als Krankenschwester?

Es gab Zeiten, in denen ich mir gewünscht habe, eine Schicht auf der Intensivstation zu machen: zu arbeiten, mich zu verausgaben, dann aber auch in den Feierabend zu gehen und die Probleme auf Station zu lassen. Das fand ich erst schwierig. Inzwischen kann ich gut trennen.

War es Anfang der 80er-Jahre ungewöhnlich, als Frau in den Betriebsrat zu gehen?

Nein, im Gesundheitswesen sind Frauen im Betriebsrat nicht ungewöhnlich, in anderen Branchen wie der Metall- oder Elektroindustrie schon. Ein Krankenhaus ist zu 70 Prozent ein Frauenbetrieb. Daher war es immer unser Anspruch, dass Frauen angemessen vertreten sind. Aber die Führungsebene ist männerdominiert. Im Aufsichtsrat des Gesamtkonzerns ist auf der Arbeitgeberseite keine einzige Frau vertreten.

INTERVIEW: MAI BRITT WULFF

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen