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ORTSTERMIN: HAMBURGS GRÜNE LASSEN EINEN KRAKEN DEN AUSGANG EINES VOLKSENTSCHEIDS VORHERSAGEN – IN IHREM SINNEDie achtarmige Marionette

Raul schwimmt los, hinweg über das „Nein“-Kästchen, lüpft den Deckel und ab auf den Grund des Würfels mit dem „Ja“

Raul zittert. Wahrscheinlich hat er Hunger. Dann schwebt er los, auf zwei Plexiglas-Boxen zu. Darin sind Miesmuscheln, darauf steht „Ja zur Primarschule und „Nein zur Primarschule“. Raul ist ein Krake, und die Idee zum Polit-Orakel am Hamburger Jungfernstieg hatte die örtliche Grün-Alternative Liste (GAL): ein PR-Coup drei Tage vor der Volksabstimmung zur Schulreform. Drei Tage auch, ehe sich möglicherweise das Schicksal des schwarz-grünen Senats entscheiden wird.

Die Umfragen der vergangenen Wochen gaben aus Sicht der GAL wenig Anlass zur Hoffnung. „Wir sind sehr viel optimistischer“, versichert dagegen an diesem Donnerstagmorgen die Landesvorsitzende Katharina Fegebank. Dass sie Grund dazu hat, soll Raul jetzt beweisen – „Raul wie Paul“, sagt Fegebank, schließlich sei der Oktopus ja der kleine Bruder des berühmten WM-Kraken aus Oberhausen.

Raul (wie Paul) also schwimmt los, flott hinweg über das „Nein zur Primarschule“-Kästchen, lüpft den Deckel und stößt vor auf den Grund des Würfels mit dem „Ja“.

Gerade nochmal gut gegangen – obwohl die Sache an einem Faden hing, wenn auch nicht einem seidenen: Krake Paul ist eine Marionette, im wortwörtlichen Sinn. Das erklärt einerseits seine bemerkenswerte Entscheidungsfreudigkeit. Andererseits: Die Götter – zu denen ein wirkliches Orakel ja einen besonderen Draht hat – lassen sich nicht gerne auf der Nase herumtanzen. Und verhohnepiepelt zu werden, goutieren sie, glaubt man der einschlägigen Literatur, überhaupt nicht. Weil sie dann auch noch zu Zorn und Willkür neigen, haben sie immer wieder für zweideutige Orakelsprüche gesorgt.

Was lernen wir daraus? Hamburgs Grüne trauen den Umfragen und dem, was man so hört, mehr als ihrem zur Schau gestellten Optimismus. Wäre das anders, hätten sie einen unparteiischen Kraken angeheuert. Es steht also zu befürchten: Der Volksentscheid geht verloren – und Raul in den Müll. KNÖ

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