: Wen: „Wir sitzen in einem Boot“
STAATSBESUCH IN CHINA Die Kanzlerin und Premier Wen Jiabao sprechen von „strategischer Partnerschaft“, doch Merkel will China nicht wie gefordert als Marktwirtschaft anerkennen
AUS PEKING JUTTA LIETSCH
Lautlos schließen sich vor der Zeremonie gewaltige Schiebetüren, auf ihnen erscheint das Bild der Großen Mauer. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Gastgeber Wen Jiabao schreiten die Ehrengarde ab: Draußen liegt schwüler Smog über dem Tiananmen-Platz. Drinnen auf dem roten Teppich der Großen Halle des Volkes beginnt die deutsche Regierungschefin ihren vierten Staatsbesuch in China.
Zwei Stunden lang konferierte sie gestern mit Premierminister Wen Jiabao, der sie am Samstag auch bei ihrem Besuch der alten Kaiserstadt Xian begleiten will – als Zeichen, wie sehr er die Deutsche schätzt. Am Nachmittag traf sie außerdem mit Chinas mächtigsten Mann, Staats- und Parteichef Hu Jintao, zusammen.
Bei den Gesprächen mit Wen und Hu ging es vor allem um die Wirtschaft: Wie wird Europa seine Schuldenkrise bewältigen, wie soll das weltweite Finanzsystem reformiert werden? Wen versprach, auch künftig die „helfende Hand“ auszustrecken: „Wir sitzen in einem Boot“, sagte er. So werde China seine Devisenreserven wie bisher nicht nur in US-Dollar, sondern auch weiter in Euro anlegen.
Beide Seiten wissen, dass sie ohne einander nicht können. Der Export von deutschen Autos und Maschinen nach China hat die Bundesrepublik vor tieferen Wirtschaftseinbrüchen bewahrt, während die Deutschen ebenso fleißig chinesische Textilien und Elektronik einkauften. Der Handel zwischen den beiden exportstärksten Ländern der Welt erreichte 2009 den Rekord von knapp 92 Milliarden Euro.
Allerdings wollten die Pekinger für ihre Unterstützung Europas eine Gegenleistung: Merkel soll sich dafür einsetzen, dass China von der EU als „Marktwirtschaft“ anerkannt wird. Für Chinas Unternehmen hätte dies einen großen Vorteil: Sie würden besser vor Dumpingklagen wegen zu billiger chinesischer Waren geschützt sein. Doch da bissen sie bei der Kanzlerin auf Granit. Zuerst hätte Peking wichtige Bedingungen zu erfüllen: Das geistige Eigentum von ausländischen Investoren in China müsse besser geschützt werden. Außerdem wollten internationale Firmen einen besseren Zugang zum chinesischen Markt. Sie fühlen sich dort gegenüber chinesischen Firmen benachteiligt.
Wie so oft bei solchen Treffen, verbargen sich auch an diesem Tag gute Absichten und Schwierigkeiten hinter diplomatischen Formeln: China und Deutschland wollten als „strategische Partner“ zusammenarbeiten und ihre Beziehungen auf „eine neue Stufe heben“, hieß es. Dafür verpflichten sich beide Regierungschefs, künftig jährlich mindestens einmal zusammenzutreffen. Das haben sie zwar auch schon in den letzten Jahren so gehalten, aber nun ist es schwarz auf weiß festgelegt.
Im ersten gemeinsamen Kommunique seit fast vierzig Jahren versprachen beide Regierungen, künftig nicht nur politisch, sondern auch beim Umwelt- und Klimaschutz, der Entwicklung erneuerbarer Energien und der Kultur enger zusammenzuarbeiten. Das Dokument bekräftigt Chinas Anspruch auf Tibet und Taiwan, doch ist es sonst sehr allgemein gefasst.
Wie schnell sich die Zeiten ändern: „Merkel ist eine der wenigen ausländischen Politikerinnen, die China versteht“, hatten chinesische Diplomaten im Vorfeld des Besuchs erklärt. Vergessen schien der gewaltige Ärger, den die Bundeskanzlerin vor knapp drei Jahren mit ihrem Empfang des Dalai Lama ausgelöst hatte. Außerdem verdächtigten chinesische Funktionäre die aus Ostdeutschland stammende Merkel, sie halte China für eine größere Version der DDR. Nun aber sollte alles ein Missverständnis sein, hervorgerufen nicht zuletzt durch „unfreundliche Chinaberichte“ in deutschen Medien.
Ihr Verhältnis zu den chinesischen Gesprächspartnern sei inzwischen so gut, befand die Kanzlerin, dass auch deutliche Worte möglich seien. Sie übergab eine Liste mit den Namen politischer Gefangener, um sich nach ihrem Schicksal zu erkundigen. Und sie traf sich eine Stunde lang mit vier kritischen Intellektuellen, um von ihnen eine andere Sicht auf das Leben in China zu erhalten.
War es bislang für deutsche Politiker üblich, mit Studenten der großen Universitäten Chinas zu diskutieren, ging Merkel gestern einen anderen Weg: Sie marschierte am Nachmittag in die Parteihochschule in der Nähe des Sommerpalastes, die zentrale Ausbildungsstätte für das chinesische Führungspersonal von morgen. Dort beantwortete sie entspannt Fragen der rund 50 Kaderstudenten, darunter Bürgermeister und Amtsvorsteher aus allen Teilen Chinas.
Warum die EU nicht das nach dem 1989 nach dem Tiananmen-Massaker erlassene Waffenembargo aufhebe, wollte einer wissen. Dafür, sagte Merkel, seien die zivilgesellschaftlichen Bedingungen noch nicht erfüllt, China nicht offen genug. Dann erklärte sie den Zuhörern die Vorteile eines Mehrparteiensystems. Die hörten geduldig zu.
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