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Der „Beiruter Frühling“ ist Vergangenheit

Anderthalb Jahre nach dem Abzug von 14.000 syrischen Soldaten sind die prosyrischen Kräfte im Libanon stärker als je zuvor

BERLIN taz ■ Aus der Position des Stärkeren zu verhandeln ist Hassan Nasrallah gewohnt. Im innenpolitischen System des Libanon nimmt der Generalsekretär der schiitischen Hisbollah („Partei Gottes“) eine Sonderstellung ein, die vor allem auf der erfolgreichen Vertreibung der israelischen Armee aus dem Südlibanon im Mai 2000 gründet. Weil es der in Kabinett und Parlament vertretenen Partei gelungen ist, den von 1982 an nicht nur von Hisbollah-Kämpfern, sondern unter anderem auch von Kommunisten gefochtenen Kleinkrieg gegen die israelischen Besatzungstruppen fast für sich allein zu reklamieren, gilt Nasrallah heute selbst vielen libanesischen Christen und Sunniten als Kopf des „nationalen Widerstandes“.

Seine Ankündigung von Mittwochabend, die beiden am Dienstag entführten israelischen Soldaten nur freizulassen, wenn Israel sich „zu indirekten Verhandlungen und einem Gefangenenaustausch“ bereit erklärte, dürfte deshalb in großen Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen.

Nicht jedoch bei Libanons Premierminister Fuad Siniora. Denn obwohl die Hisbollah mit zwei Ministern in dessen Regierung vertreten ist, hat sie sich den in Demokratien westlichen Typs gepflegten politischen Umgangsformen nie gebeugt. Bis heute, also mehr als sechs Jahre nach dem Rückzug der israelischen Truppen, sind die Grenzen zum südlichen Nachbarland nicht von libanesischen Soldaten kontrolliert, sondern von Hisbollah-Paramilitärs. Informationsminister Ghazi Aridi wies denn auch jede Verantwortung für die Entführungen zurück: Die Regierung sei „nicht informiert worden und trage keine Verantwortung für das, was an der internationalen Grenze passiert“.

Dass die Hisbollah nicht davon abrückt, ihren „Staat im Staat“ aufrechtzuerhalten, macht die Eskalation des Konflikts mit Israel für die libanesische Innenpolitik umso brisanter. Schließlich war es in einem über Monate sich hinziehenden so genannten Nationalen Dialog der wichtigsten libanesischen Politiker im Frühjahr nicht gelungen, die Hisbollah zur Aufgabe ihrer Waffen und zur Integration in die libanesische Armee zu bewegen. Erst Anfang Juni vertagten Siniora, Nasrallah, Parlamentspräsident Nabih Berri und Saad Hariri, der Sohn des im Februar 2005 ermordeten Expremierministers Rafik Hariri, die Entscheidung über die Zukunft erneut.

Der Hisbollah hingegen und ihren Verbündeten und Finanziers in Syrien passen die israelischen Luftangriffe politisch prima ins Konzept. Schließlich untermauern diese die von Nasrallah und dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gepflegte Argumentation, solange Israel weiter eine Bedrohung darstelle, komme eine Entwaffnung des militärischen Arms der „Partei Gottes“ nicht in Frage. Knapp anderthalb Jahre nach dem kurzen „Beiruter Frühling“ der Demokratie haben sich die prosyrischen Kräfte längst wieder gefangen und stehen stärker da als je zuvor. Zwar musste Assad die rund 14.000 noch im Libanon verbliebenen Truppen der Protektoratsmacht im April vergangenen Jahres abziehen. Mit Nasrallah, Parlamentspräsident Berri und Präsident Emile Lahoud hat er jedoch weiter politische Verbündete, die jeden Fortschritt zur Wiederherstellung der libanesischen Souveränität torpedieren.

„Freiheit, Souveränität, Unabhängigkeit“, lautete der Leitspruch der antisyrischen Demonstranten im Frühjahr 2005. Nach der Ermordung von Expremier Rafi Hariri wollten die Bewohner der jungen, historisch immer von Kolonialmächten bestimmten Republik endlich die Geschicke ihres Landes in eigene Hände nehmen. Dieses Ziel rückt mit der Eskalation des Konflikts einmal mehr in weite Ferne. MARKUS BICKEL

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