: Ein Zuhause statt Knast
PANTER-PREIS-KANDIDATIN V Seit 30 Jahren nimmt Petra Peterich jugendliche Straftäter in ihrem Haus auf
■ Die Nominierten: Sechs Kandidaten hat unsere fünfköpfige Jury für den diesjährigen Panter Preis ausgewählt; heute stellen wir Ihnen Petra Peterich für diese Auszeichnung vor. Unterstützt vom Albert-Schweitzer-Familienwerk e. V. zeigt die Sozialpädagogin jugendlichen Straftätern seit vielen Jahren eine Alternative zu Haft und Ausgrenzung – ein Engagement, das weit über ihren Beruf hinaus geht.
■ Die Verleihung: Am 18. September wird im Deutschen Theater Berlin der Panter Preis verliehen. Genau genommen sind es zwei Preise, mit denen Projekte ausgezeichnet werden, die von persönlicher Courage geprägt sind. Beide Preise sind mit je 5.000 Euro dotiert. Einen Preis vergibt eine Jury aus tazlerInnen mit prominenter Hilfe, einen zweiten vergeben Sie.
■ Die Porträts: Seit vier Wochen können Sie die KandidatInnen jeweils in der sonntaz und auf taz.de begutachten und schließlich jeneN, der oder die Ihnen am preiswürdigsten scheint, für den taz Panter LeserInnenpreis wählen. Nach Farzin Akbari Kenari, Kerstin Wessels/Steffen Pohl, André Shepherd und Matthias Seibt stellen wir Ihnen die fünfte Kandidatin vor. Alle Porträts und mehr Infos unter www.taz.de/panter
VON MANUELA HEIM
Petra Peterich ist 66, ihr Mann 81. Sie wohnen in einem rot geklinkerten Haus mit wildem Garten bei Lüneburg. Nachmittags wird es laut, dann kommen ihre Jungs nach Hause. Nicht die eigenen. Drei Jugendliche leben zurzeit bei Familie Peterich. Einer ist siebzehn, die anderen achtzehn. Wenn sie nicht hier wären, säßen sie in Untersuchungshaft.
Seit 1986 ist das Haus von Petra Peterich als offizielle Haftalternative anerkannt. Auch Alex* lebt hier, vor ein paar Monaten hat ihn Petra Peterich aus dem Gefängnis geholt. Der 18-Jährige klopft leise, wenn er den Raum betritt, seine Schuhe trägt er in der Hand. „Im Knast hast du keine Perspektive“, sagt er, „da gibt es Drogen, Gewalt, alles. Und wenn Du rauskommst, hat sich nichts verändert.“
Aus diesem Teufelskreis will die Sozialpädagogin die Jungs rausholen. Mit klaren Regeln, einem engen Netz aus Drogenkontrollen und Kollegen, die jeden Jugendlichen einzeln betreuen. Aber auch mit Gesprächen, gemeinsamem Essen, einem Zuhause. „Die Jugendlichen sind so dankbar, aus der Haft zu sein, das ist ihre Motivation.“ Ziel ist es, Schule und Ausbildung zu schaffen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Angst und Ausgrenzung kennt Peterich nicht – weder bei Jungs aus der rechten Szene noch bei angeklagten Gewalttätern. „Ich will das Positive in ihnen entdecken, und dann finde ich es auch“, sagt sie. Bei jedem? „Bei jedem.“ 36 Jugendliche im Alter von fünfzehn bis zwanzig haben seit 1986 bei ihr gelebt. Zwei Drittel von ihnen mussten nie wieder ins Gefängnis. Sonst schafft es weniger als die Hälfte straffrei zu bleiben.
„Meine Kinder, deine Kinder – das gab es bei uns nie. Wir waren schon immer nicht nur für unsere eigenen Kinder verantwortlich.“ Vor vierzig Jahren hat Petra Peterich, selbst dreifache Mutter, einen der ersten Kinderläden in Hamburg mitbegründet. Mitte der Siebziger studiert sie Sozialpädagogik in Lüneburg, arbeitet danach als Lehrerin an einer Hauptschule. „Das lag mir nicht. Ich fand immer die Schüler spannend, die schwierig und widerspenstig waren. Und denen wurde Schule einfach nicht gerecht.“
Sie kündigt und beginnt bei einem Modellprojekt für jugendliche Straftäter in Uelzen. Die Idee: intensive pädagogische Betreuung als Alternative zur Haft. Fördern statt einsperren – sowohl in Uelzen als auch später bei ihrem eigenen Projekt in Lüneburg muss Peterich gegen Vorurteile und Ablehnung kämpfen. Häufiges Argument der Zweifler: Bei denen sei sowieso alles zu spät. Peterichs Antwort: „Ja, es wäre schön gewesen, hätte man diese Jugendliche früher aufgefangen. Aber jetzt sind sie da, und es ist Aufgabe der Gesellschaft, sie zu unterstützen.“
Diese gesellschaftliche Aufgabe – ihre Aufgabe – hat für Peterich noch nie mit dem Feierabend aufgehört. War ein Jugendlicher obdachlos oder kümmerte sich niemand darum, ihn aus der Haft zu holen, dann nahm sie ihn wie selbstverständlich mit nach Hause. Ihr guter Ruf eilt weit über die Grenzen Lüneburgs hinaus. So gelingt es Petra Peterich 1986, die Kommune davon zu überzeugen, dass die Unterbringung in einem familiären Umfeld mehr Zukunft für die Jugendlichen verspricht.
SOZIALPÄDAGOGIN PETRA PETERICH
Alex hat inzwischen den alten Freunden abgeschworen, ist lieber bei seiner Freundin, macht eine Ausbildung. „Seit ich hier bin, höre ich nur positive Worte. Dann mache ich auch nur positive Sachen.“ In ein paar Monaten ist Alex’ Hauptverhandlung. Hält er sich bis dahin an die Regeln im Hause Peterich, dann sind seine Chancen gut, ohne Haftstrafe davonzukommen.
Seit drei Jahrzehnten lebt und arbeitet Petra Peterich dafür, dass Jugendliche wie Alex eine zweite Chance bekommen. Mit so viel Selbstverständlichkeit, so fest verankert in ihren Idealen, dass sie einigen der vergessenen Jugendlichen dieser Gesellschaft neuen Halt geben kann. „Es gibt nur ganz wenige, die sich die Arbeit so mit nach Hause nehmen. Der Bedarf ist viel größer als das Angebot“, sagt Peterich. Aufhören will sie erst, „wenn ich eine komische Alte bin“.
* Name geändert
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