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Wenn Juristen um die Ehre kämpfen

Wegen eines zweifelhaften Nazi-Vergleichs wurde ein Rechtsanwalt gestern vom Amtsgericht Bremen zu 3.000 Euro Strafe verurteilt. Der Anwalt sieht seine Ehre verletzt und wirft der Justiz „unkontrollierte Zensur“ vor

Mit der freien Meinungsäußerung ist das so eine Sache. Gerade, wenn es um Vergleiche mit dem Dritten Reich geht. Da ist schnell mal von Beleidigung die Rede. Und von verletzter Ehre. 3.000 Euro soll jetzt der Bremer Rechtsanwalt Jan S. zahlen, weil er einen bremischen Richter der geistigen Nähe zum Nationalsozialismus bezichtigt haben soll.

„Sie vertreten hier Ansichten, die in diesem Staat zuletzt 1934 mit den Nürnberger Rassegesetzen vertreten worden sind.“ Eine Beleidigung seines ehemaligen Kollegen sei das, befand Amtsrichter Hans Ahlers gestern – und verurteilte den Anwalt. Schließlich habe S. damit die Verbrechen des Nazi-Regimes „bagatellisiert“.

Gefallen sein soll die fragliche Äußerung im Vorfeld einer Anhörung. Ein Afrikaner war in Bremen festgenommen worden, wo er mit seinem deutschen Kind und dessen deutscher Mutter zusammenlebte. Zwar hätte der Mann ob seines Kindes gar nicht verhaftet werden dürfen. Und musste auch wieder frei gelassen werden. Dennoch sah sich Richter Dieter Nordhausen zu dem Hinweis veranlasst, der Afrikaner habe seinen „prekären Aufenthaltsstatus“ ja gekannt, „als er das Kind zeugte“. Also müsse er sich jetzt auch die Konsequenzen zurechnen lassen.

Jan S. war das zu viel. „Nach Ihrer Auffassung braucht ein Ausländer eine staatliche Erlaubnis, wenn er ein deutsches Kind zeugen will“, soll er Richter Nordhausen angefahren haben. Und dann kam der Vergleich mit den Nürnberger Gesetzen. Eine „Ehrverletzung“, wie sein Verteidiger zugab – aber eine, die durch das Grundgesetz gedeckt sei.

Die Geldstrafe will S. deshalb auf keinen Fall zahlen. Und den Vorwurf von Richter Ahlers, es sei ihm hauptsächlich um die Diffamierung des Haftrichters – und nicht um die Freilassung seines Mandanten gegangen, will er erst recht nicht auf sich sitzen lassen.

„Mit allen rechtlichen Mitteln“, so kündigte S. gestern an, werde er sich gegen „die ehrabschneidenden Darstellungen der Bremer Justiz“ zur Wehr setzen. Genügend Rechtsbeistand genießt er jedenfalls: Gleich zwei Verteidiger vertreten Jan S. vor Gericht – seine Bürokollegen.

Und die sehen in erster Linie den Anwalt beleidigt, nicht den Richter Nordhausen. „Willkürlich“ werde Jan S. hier „in den Schmutz gezogen“, schimpfen sie. Und sprechen von „unkontrollierter Zensur“.

Demnächst beschäftigt der Fall die nächste Instanz. Dabei, klagt Ahlers, „gäbe es eigentlich Wichtigeres zu tun.“ Jan Zier

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