: „Aldi wird Bio reduzieren“
INTERVIEW HANNA GERSMANN UND JÖRN KABISCH
taz: Herr Hinz, golfen Sie?
Thomas Hinz: Nein, ich habe aber mal einen Schnupperkurs gewonnen. Den habe ich gemacht, weil er kostenlos war. Wieso?
Sie gelten als der Öko-Aldi, weil Sie einst Aldi-Manager waren und nun den ersten Biodiscounter Deutschlands führen. Also testen wir die Ähnlichkeit mit den Aldi-Chefs, den Brüdern Albrecht, die golfen, schweigen und reich sind. Wie reich wollen Sie werden?
Ich will nicht reich werden.
Dann ist das Biogeschäft für Sie nur ein Spaß?
Für mich ist das eine Bewusstseinsfrage, ich wollte das Geschäft mit den konventionellen Lebensmitteln nicht mehr unterstützen. Mein einziges Ziel sind viele Erdkorn-Filialen.
Sie haben sich mit der Aldi-Führung verkracht?
Ein Krach war das nicht. Aber mir wurde klar, dass Aldi Bio nicht mit vollem Herzen ins Sortiment nehmen wollte. Da habe ich einen Haken hinter diesen Lebensabschnitt gemacht.
Sie haben versucht, bei Aldi Bio einzuführen?
Ja, im Ansatz. Dazu gehört aber ein ideologischer Standpunkt, eine Überzeugung, ein Herz des Unternehmens.
Das hat Aldi nicht? Dort gibt es jetzt doch Bio.
Reif ist Aldi dafür trotzdem nicht. Das Unternehmen reagiert nur auf den Wettbewerb – wie immer. Aldi ist nie Vorreiter, sondern wartet, bis sich etwas im Markt bewährt – egal ob es um Scanner an der Kasse oder Bioartikel geht.
Ihr alter Arbeitgeber fürchtet Ihre Konkurrenz?
Sicher nicht. Aldi hat 3.000 Filialen, wir haben 12. Aber wir werden mehr.
Warum haben Sie Ihr Unternehmen Erdkorn genannt und nicht Hinz-Discounter?
Das verbindet zwei Elemente, die Erde und den Ursprung im Korn. „Erd-Ei“ wäre ja albern, aber dieser Sinn steckt dahinter. Finden Sie mal einen Namen für ein Unternehmen – das ist nicht so einfach.
Aber der hört sich schon an wie Haferstich, Mehlwurm oder Jutetasche.
Für mich ist die süß-saure Kombination wichtig – Erdkorn klingt nach urigem Bioladen, aber ist hochprofessionell.
Bevor Sie kamen, galt der Biomarkt als discountresistent. Wie viel billiger ist bei Ihnen der Kaffee im Vergleich zum kleinen Ökoladen?
50 Prozent. Bei uns kosten 500 Gramm 3,99 Euro.
Sie drücken die Preise.
Wir zahlen unseren Mitarbeitern sogar teilweise überdurchschnittliche Tarifgehälter. Und unseren Produzenten garantieren wir einen Preis, der ihre Produktionskosten inklusive Unternehmerlohn deckt.
Sie bekommen keine Rabatte?
Doch, natürlich kaufen wir günstiger ein als ein Bioladen, weil wir größere Mengen abnehmen.
Also Masse statt Klasse?
Qualität ist ein sehr sensibles Thema. Die Großen – Lidl, Aldi, Plus, Edeka – entscheiden über den Preis. Sie proklamieren zwar auch das Ideologische, das Ökologische, das Verantwortungsbewusste. Aber ich bezweifle das. Das ist ein Risiko für Bio. Für uns ist Qualität eine Überzeugungssache und ein Vertrauensbeweis.
Wir haben nicht nach Edeka gefragt. Wie ist das bei Ihnen?
Wir kaufen nur zertifizierte Ware, wir testen sie im Labor und lassen uns bestätigen, dass sie mindestens den EU-Biostandards, besser jedoch den Verbandskriterien entspricht.
Das soll bei Ihren Preisen funktionieren?
Die Frage ist, wie man Discounter definiert. Wir sind nicht billig, wir sind nur günstiger. Das liegt an unserer Vertriebsform. Ich habe ein geringeres Sortiment, eine einfachere Ladenausstattung und weniger Personal. Wir sparen von dem Moment an, wo das Produkt vom Hof geht, bis zu unserem Regal.
Wie groß ist Ihre Gewinnmarge?
Das verrate ich Ihnen nicht.
Von Lidl wird erzählt, dass die Besitzer schon mal durch eine Filiale laufen und jede dritte Glühbirne rausdrehen. Machen Sie das auch?
Ja. Anfangs haben wir alte Spar-Märkte übernommen. Da haben wir die energiefressenden Leuchtbänder ausgetauscht.
Sie mögen es schlicht?
Nein, effizient und einfach.
Besserverdiener kaufen Bio, weil sie darunter Wellness verstehen. Wie verträgt sich das mit einem kargen Ambiente?
Bei uns sind alle Kunden vertreten, aus allen Einkommensgruppen.
Hartz-IV-Bezieher können den Bioaufschlag zahlen?
Sie kaufen halt weniger. Außerdem sind Milch und Butter bei uns auch nicht viel teurer als anderswo. Unser Ziel ist es, so vielen Verbrauchern wie möglich Bioessen zugänglich zu machen. Dafür nehmen wir nur so viel Geld, wie wir brauchen.
Sie gründen Ihre Läden aber nur in gut situierten Stadtvierteln – und nicht neben Aldi.
Wir achten nur darauf, dass wir uns nicht neben einen Biosupermarkt setzen. Wir wollen nicht, dass sich die Branche zerfleischt. Da ist noch so viel Platz.
Wegen Erdkorn hat also auch noch kein Bioladen zugemacht?
Das wurde uns in Hamburg mal vorgeworfen. Aber in dem Fall schlossen die Besitzer aus Altersgründen. Nein, im Gegenteil: Wir sind nicht gegen kleine Bioläden, das würde die Kultur zerstören. Die Symbiose ist möglich. Das echte Sterben müssen Sie eher in der Nachbarschaft der Biosupermärkte suchen, nicht der Biodiscounter.
Wie bitte?
Ein Discounter mit eingeschränktem Angebot ist keine Konkurrenz. Bioläden, die sich zum Spezialisten entwickeln, müssen uns nicht fürchten.Wir haben keine Käsetheke und kein Bistro. Da können sich die Sortimente ergänzen.
Woher kommen Ihre Produkte?
Aus der Region!
Anfangs hatten Sie in der Berliner Erdkorn-Filiale Brot aus Hamburg.
Anfangs hatten wir logistische Probleme. Jetzt haben wir einen Berliner Bäcker gefunden.
Und woher kommt der Salat?
Er kommt aus der Region, wenn es genug gibt. Region definieren wir aber schon mal etwas weitläufiger …
… was zum Beispiel zu längeren Transportwegen führt. Was sagt Ihr ökologisches Gewissen dazu?
Auch der Bioladen kauft nicht direkt vom Landwirt. Deutschland ist die Region, in der wir leben. Das kann nicht immer nur Berlin oder Hamburg sein.
Aber mittlerweile kommen Biotomaten aus einer Region in Südspanien, wo stark gewässert werden muss. Wie öko ist das?
Die Frucht ist immer noch ökologischer als eine gespritzte konventionelle Tomate. Außerdem bekommen wir sogar Bioäpfel aus Neuseeland. Sie sollten nur möglichst umweltschonend transportiert werden.
Man kann Bio also unendlich ausreizen?
Das wäre eine Katastrophe! Die Verantwortung liegt aber beim Verbraucher. Wenn er die bewässerte Tomate aus Südeuropa nicht will, darf er sie nicht kaufen.
Woher soll das der Kunde wissen? Er verlässt sich auf „Bio“.
Er bekommt das Wissen, denn die Angabe der Herkunft ist Pflicht!
Raten Sie Ihren Kunden etwa, die Biotomaten aus Spanien nicht zu kaufen?
Dem, der 100 Prozent öko sein will, schon. Wir müssen jedoch Kompromisse machen. Damit wir einen ökologischen Landbau auf der ganzen Welt bekommen.
Und eine leicht ökologisierte Wegwerfgesellschaft. Sie ändern nichts an der Einstellung, dass Lebensmittel saisonunabhängig und in Mengen angeboten werden.
Bei Biokunden ist das doch anders. Unsere Kunden kaufen Äpfel, die nicht hochglanzpoliert sind. Sie essen sie. Sie schmeißen sie nicht einfach weg. Und das Biobrot hält und schmeckt auch länger.
Wozu braucht man einen speziellen Biodiscounter?
Bio und konventionell in einem Laden funktioniert nicht. Ein Beispiel: Bioobst wird heute in konventionellen Supermärkten aufwändig eingepackt oder mit „Bio“-Aufkleber versehen. Was ist daran ökologisch? Das will ich nicht.
Aldi & Co. werden also mit Bio scheitern?
Sie werden das Sortiment reduzieren oder wieder rausnehmen.
Aber warum sollte sich der Bio-Apfel bei Ihnen rechnen und bei Aldi nicht?
Ganz einfach: Aldi hat immer behauptet, beste Qualität zum günstigsten Preis zu liefern. Daran hat sich der Aldi-Kunde gewöhnt. Jetzt liegen neben den Aldi- auch noch die Biospaghetti. Und Bio soll plötzlich besser sein. Da fangen die Verbraucher an zu zweifeln.
Für den Kunden sind das doch nur zwei verschiedene Produkte. Macht Aldi Ihnen Preisdruck?
Das Sortiment hat dort keine Zukunft.
Wie viel billiger können Sie noch werden?
Das kann ich nicht sagen.
Essen Sie selber bio?
Seitdem ich Familie habe. Die Ware war häufig nicht frisch. Das hat mich angespornt.
Sind Sie selber sparsam?
Das ist mir in die Wiege gelegt worden. Mein Vater war auch schon Aldi-Filialleiter. Das lebe ich auch so.
Sie fahren einen Drei-Liter-Lupo?
Nein, Biodiesel mit Rußfilter. Qualität zum Top-Preis und ökologisch. Das ist doch auch was.
Aber Sie machen etwas anders als die sparsamen Aldi-Brüder. Sie leisten sich eine PR-Abteilung. War das Ihr letztes Interview?
Mit Sicherheit nicht, wenn es einem guten Zweck dient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen