DIE CDU MACHT KEIN SOMMERTHEATER, SIE STECKT WIRKLICH IN DER KRISE: Mehr als ein Problembär
Der Problembär ist tot, es lebe Jürgen Rüttgers. So würden es die CDU-Chefin Angela Merkel und ihre treuen Diener gerne darstellen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident ist ihr neuer Lieblingsfeind, weil er sich angeblich mit absonderlichem Quatsch zu Wort gemeldet hat. Fraktionschef Volker Kauder spielte die Kritik des Merkel-Stellvertreters am Kurs der Partei gestern als überflüssigen Profilierungsversuch herunter. Doch gerade die gereizten Reaktionen zeigen, dass Rüttgers einen wunden Punkt getroffen hat.
Wer die momentane Aufregung als übliches Sommertheater abtut, täuscht sich. Erstmals seit der Bundestagswahl geht es ans Eingemachte, an die Substanz der Volkspartei CDU. Um diese Debatte auszulösen, musste Rüttgers provozieren. Er hat gegen die ungeschriebenen Gesetze für Mitglieder der großen Koalition verstoßen. Diese sehen vor, dass beide Seiten über Kompromisse klagen. Die Sozialdemokraten wünschen sich eine sozialere Politik und die Christdemokraten wirtschaftsfreundlichere Entscheidungen. Nur mit solchen Ritualen, glauben die gesetzestreuen Parteisoldaten, kann man das eigene Publikum bei der Stange halten und den nächsten Wahlkampf vorbereiten.
Rüttgers stellt diese bequeme Strategie in Frage. Er klagt nicht über unternehmerfeindliche Kompromisse, nein, er sieht die sozialen Defizite bei der CDU und spricht von „Lebenslügen“. Das sitzt.
Allmählich spüren auch andere Parteikollegen: Künftige Wahlkämpfe vorbereiten kann nur, wer die Niederlage von 2005 aufarbeitet. Das aber hat die Union bisher vermieden. Auf die Absage der Wähler an die schwarz-gelben Radikalprogramme folgte – nichts. Die langsamere Reformpolitik der Regierung begründet die Kanzlerin nicht mit eigenen Erkenntnissen, sondern ausschließlich mit dem Widerstand der SPD. Programmatisch macht Merkel weiter, als sei nichts geschehen, und verspricht „mehr Freiheit“. Ihre Hintersassen buchstabieren das mit Vorschlägen für schärfere Hartz-Gesetze und Kürzungen der Witwenrenten. Vor diesem Kurs hat Rüttgers gewarnt. Zumindest die Umfragen geben ihm Recht. LUKAS WALLRAFF
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