„Nicht mal der Premier hat Veröffentlichungsfreiheit“

CHINA KP reagiert mit Härte auf Friedensnobelpreis und einen offenen Brief von Parteiveteranen

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Ein Anruf am Donnerstagvormittag: Eine Pekinger Journalistin warnt, dass es schwierig wird mit dem verabredeten Treffen. „Vor meiner Tür wartet die Polizei, ich kann nicht mehr hinaus.“ Eine Woche, nachdem Oslos Nobelpreiskomitee den inhaftierten Bürgerrechtler Liu Xiaobo als Preisträger benannte, wird das politische Klima in Peking frostiger. Wie der Journalistin erging es auch anderen Bürgerrechtlern. So wurde der bekannte Anwalt Pu Zhijiang von Polizisten in ein Gästehaus gebracht, weil er ausländischen Medien keine Interviews geben sollte. Auf der regulären Pressekonferenz des Außenministeriums wurde der Ton ebenfalls härter: „Dass der Friedensnobelpreis an einen verurteilten Kriminellen vergeben wird, kommt einer Ermutigung gleich, innerhalb Chinas Grenzen Verbrechen zu begehen“, so der Sprecher.

Zugleich kursiert ein offener Brief von 23 prominenten Parteiveteranen im Internet, der auf chinesischen Webseiten blockiert wird. Darin wenden sich unter anderem frühere Chefredakteure und hohe Beamte des KP-Propaganda-Abteilungen gegen das System der „unsichtbaren schwarzen Hände“ der KP-Zensoren, die den Redaktionen Anweisungen darüber geben, was nicht erscheinen dürfe. Verstoße der Inhalt einer Publikation gegen die Gesetze, müssten die Gerichte darüber entscheiden, fordern die Unterzeichner. Chinas Verfassung garantiere das Recht auf Rede-, Presse- und Meinungsfreiheit. Es sei höchste Zeit, sie zu verwirklichen.

Mao Zedongs früherer persönlicher Sekretär, Li Rui, soll zu den Initiatoren des Briefes gehören, der schon zu Monatsbeginn an den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses gerichtet wurde. Der 93-Jährige zählt zu einer Gruppe mutiger Alter, die kaum noch Einfluss in der KP haben, aber auch keine ernsten Konsequenzen mehr fürchten müssen. Der Brief und der Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo sind in China nur einer kleinen Minderheit bekannt. Sie kommen zu einer Zeit, in der die KP für 2012 einen Führungswechsel vorbereitet und darüber streitet, mehr demokratische Freiheiten zuzulassen oder die Kontrolle zu verschärfen.

Aufsehen erregten kürzlich Bemerkungen von Premier Wen Jiabao, in denen er sich für politische Reformen aussprach. Andernfalls, warnte er, laufe China Gefahr, bereits Erreichtes wieder zu verlieren. Die Medien veröffentlichten aber nur zensierte Versionen. „Nicht einmal der Premier hat Veröffentlichungsfreiheit“, beklagt der offene Brief.