: „Widerstand ist nicht gleich Gewalt“
STRAFRECHT Die stärkere Bestrafung von Widerstand gegen Polizeibeamte ist unnötig, sagt der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner. Bei passivem Widerstand wie Sitzblockaden ändert sich ohnehin nichts
■ ist Anwalt und Publizist. Er ist Linken-Deputierter der Bremischen Bürgerschaft. Foto: Schneider-Sonnemann
taz: Herr Gössner, die Bundesregierung will das Strafmaß für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte erhöhen. Halten Sie das für nötig?
Rolf Gössner: Nein, diese Regelung ist nach meiner Auffassung absolut unnötig. Sie wird keine Gewalt gegenüber Polizisten verhindern oder reduzieren. Der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft und ihren Ursachen ist so nicht beizukommen. Denken Sie etwa an die vermehrten Einsätze bei häuslicher Gewalt oder an Taten unter Alkoholeinfluss. Niemand wird sich abschrecken lassen vor erhöhten Strafen.
Wofür ist die Regelung dann gut?
Es handelt sich um reine Symbolpolitik. Die Intention der Regierung lässt sich deutlich nachvollziehen an Hand einer Erklärung des Bundesinnenministeriums: Nicht der Individualrechtsgüterschutz stehe im Vordergrund, sondern der Schutz unserer Rechtsordnung, steht da geschrieben. Deutlicher kann man den Symbolcharakter nicht ausdrücken. Auch die Gewerkschaft der Polizei etwa spricht von einem „notwendigen gesellschaftlichen Signal“.
Polizeigewerkschaften und Innenpolitiker behaupten, dass damit Gewalt gegen Polizisten härter sanktioniert würde. Ist dem so?
Die Befürworter der Strafverschärfung tun so, als wäre die Polizei der Gewalt bisher schutzlos ausgeliefert und die Täter wären sanktionslos geblieben. Das stimmt aber nicht. Richtig ist vielmehr, dass Menschen, die aktiv Widerstand gegen Polizeimaßnahmen leisten, schon bisher nicht nur wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu Geld oder Freiheitsstrafen verurteilt werden können, sondern auch wegen Beleidigung und Nötigung – im Fall der Verletzung eines Beamten auch wegen Körperverletzung. In schweren Fällen heißt das: bis zu fünf oder gar zehn Jahren Freiheitsstrafe.
Was bedeutet die neue Regelung für Demonstranten und Teilnehmer von Sitzblockaden?
Mit der schärferen Ahndung ändert sich nichts an den Voraussetzungen der Norm. Insofern ist der Tatbestand „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ im Prinzip der gleiche wie vorher auch. Ziviler Ungehorsam, passiver Widerstand sind prinzipiell zulässig, etwa in Form friedlicher Sitzblockaden. Wenn man sich beim Wegtragen jedoch aktiv wehrt, dann ist das im Zweifel auch strafbarer Widerstand. Mit der Strafrechtsverschärfung wird allerdings zu Unrecht der Eindruck erweckt, jede Widerstandshandlung sei bereits eine Gewalttat.
Und was genau ist und bleibt verboten?
Eine strafbare Widerstandshandlung gegen Polizisten liegt bereits vor, wenn ein Verdächtiger sich etwa bei der Durchsuchung, der Personalienfeststellung oder auch bei der Festnahme aus dem Griff des Polizisten gewaltsam losreißt – ohne ihn dabei zu verletzen. Auch die Drohung mit Gewalt reicht aus, tätlicher Angriff ohnehin. Bislang wurde das je nach Tatumständen mit Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Haft bestraft, jetzt wird die Höchststrafe auf drei Jahre erhöht. Solche Verhaltensweisen bleiben allerdings straflos, wenn die Amtshandlung unrechtmäßig ist. Hiergegen darf man sich dann auch aktiv wehren.
Wo sehen sie denn Reformbedarf, abgesehen vom Widerstandsparagrafen?
Ich finde die Gewalt-Debatte läuft einseitig. Jetzt wird der Widerstand gegen Polizeibeamte härter geahndet. Was ist, wenn Polizeibeamte illegal Gewalt anwenden? Die bleibt oft genug mangels Identifizierung ungeahndet. Da warten wir schon lange auf eine Kennzeichnungspflicht und auf unabhängige Kontrollinstanzen.INTERVIEW: DANIEL KUMMETZ
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