: Die 200-Millionen- Euro-Ruine
TACHELES Zwei Jahrzehnte lang war das Kunsthaus an der Oranienburger Straße die Ikone des wilden Berlins der Nachwendezeit. Jetzt will der Eigentümer richtig Geld damit machen – dabei dürfte er das Tacheles gar nicht mehr besitzen
VON BERT SCHULZ
Am 13. Februar 1990 besetzt die Künstlerinitiative Tacheles die Reste des ehemaligen, im Jahr 1909 eröffneten Kaufhauses Friedrichstraßenpassage. Es ist der Beginn eines Mythos.
Das Gebäude – in weiten Teilen eine Ruine – sollte eigentlich im April 1990 gesprengt werden. Ein von den Besetzern in Auftrag gegebenes Gutachten zur Bausubstanz stoppt jedoch den Abriss. In den 90ern entwickelt sich das Tacheles zu einem Treffpunkt der subkulturellen Szene im einstigen Ostteil der Stadt. Es entstehen Bars, Theaterräume, Kinos, zudem viele Ateliers, die auch als Verkaufsräume für Kunst dienen. In den nuller Jahren steht das Tacheles in jedem Berlin-Reiseführer.
Am 4. September 2012 übergeben die letzten verbliebenen Künstler dem Gerichtsvollzieher die Schlüssel. Vorausgegangen sind jahrelange Streitigkeiten über Mietverträge, ständig wiederholte Androhungen der Räumung, brutale Einsätze eines Sicherheitsdiensts. Schon ab 2011 haben die ersten Mieter gegen teilweise hohe Entschädigungssummen das Gebäude verlassen. Zahlreiche Künstler und Musiker setzen sich für den Erhalt des Kunsthauses ein – vergeblich. Es ist das Ende eines Mythos.
Nun soll aus der Kaufhausruine, der noch immer der Charme der Subkultur anhaftet, etwas Neues werden – allerdings etwas, was wenig mit Chaos und Freiraum, mit Off-Kultur und schrägen Künstlern zu tun haben dürfte. Das Tacheles soll zur Gelddruckmaschine werden: Das Gelände, zu dem große Freiflächen rund um das Haus gehören, soll für 200 Millionen Euro den Besitzer wechseln. So wünscht sich das der Eigentümer Anno August Jagdfeld. Verhandlungen mit Interessenten laufen, sagte sein Sprecher diese Woche der taz. Die Aussichten seien gut.
Doch eigentlich dürfte das Geld nicht an Jagdfeld fließen – es müsste an die Steuerzahler gehen. Denn 1995 hatte Jagdfelds Fundus-Gruppe das Gelände vom Bund unter der Auflage bekommen, dort bis 2007 in großem Stil zu investieren. Daraus wurde bekanntlich nichts. Deswegen, so der Deal damals, müsste der erfolglose Investor eine Geldstrafe in Millionenhöhe zahlen. Das Grundstück selbst hätte eigentlich der Bund zurückbekommen müssen. Warum verzichtete der Staat auf so viel Geld – und auf die Möglichkeit, aus einem so wichtigen Grundstück selbst etwas zu machen?
Die Geschichte des Deals – und eine Hommage an das Tacheles SEITE 44, 45
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