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Nur ein Pyrrhussieg

HAMBURG Die Kulturszene bleibt trotz der abgewendeten Sparbeschlüsse misstrauisch

Torkild Hinrichsen traut sich Dinge zu, die er 1968 nie zu sagen gewagt hätte. Letzte Woche bekam der Direktor des Altonaer Museums dafür eine Abmahnung von seinem Vorgesetzten, dem Hamburger Kultursenator Reinhard Stuth. Falls er sich noch einmal zu einer beleidigenden Aussage hinreißen lässt, muss Hinrichsen seinen Posten räumen.

Dabei hat der Rauschebart in einem Interview mit der Zeit nur ausgesprochen, was viele Bürger in Hamburg denken: dass der Bürgermeister seinen Kultursenator in Kürze an die Luft setzen wird. Hinrichsen ist couragiert genug, um abermals beherzt zu bekräftigen, dass es für ihn eine Ehre sei, wenn man ihm kündigen würde. „Im Grund habe ich meine Karriere hinter mir. Hätte ich Skrupel, hätte ich diese Kampagne an entscheidender Stelle nie so durchgehalten“, erklärt er.

Die Kampagne ist der seit Wochen anhaltende Protest gegen die Sparpolitik des Hamburger Kultursenators. Am Mittwochabend lud Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) die betroffenen Kulturschaffenden zu einem Kulturgipfel in die Gaststätte „Schöne Aussicht“ ein. Stuth kam als Letzter angefahren und wurde vor dem Gebäude mit Buhrufen und Pfiffen von 50 Demonstranten und ihren „Wir sind das Schauspielhaus!“- und „Bildung fängt mit K an!“-Schildern empfangen.

Nach dem vierstündigen Kulturgipfel stand fest: Bücherhallen-Chefin Hella Schwemer-Martienßen muss statt 1,5 Millionen Euro nur 500.000 Euro einsparen und bekommt eine Bestandsgarantie. Das über 100-jährige Altonaer Museum bleibt vorerst geöffnet. Die Sparauflagen an das Deutsche Schauspielhaus werden für zwei Jahre gestreckt. „Die betroffenen Einrichtungen haben nachvollziehbar belegt, dass sie für die Erreichung der gesteckten Ziele Zeit benötigen“, sagt Stuth hinterher. Der Schwarze Peter liegt nun wieder bei den Kulturschaffenden. „Jetzt werden wir gezwungen, selbst zu verkünden, dass wir dieses oder jenes nicht mehr betreiben können“, beklagt Hinrichsen. In fünf Monaten muss ein neues Sparkonzept vorliegen.

„Bisher war das nur ein Pyrrhussieg“, sagt Hinrichsen. Dass die Hamburger Bürgerschaft ihre Prioritäten neu sortiert, fällt auf. „Dabei geht es nur um Effektivität und Dividende. Kunst und Kultur sollen sich bitte endlich auszahlen“, echauffiert sich der Musiker, Komiker und Pudel-Betreiber Rocko Schamoni. Die Politik begreife scheinbar nicht, was das Schauspielhaus in dieser Stadt darstellt. „Es ist ein Wohnzimmer, in dem sich alle treffen können, um über das Leben, über die Politik, über die Kunst und die Welt zu reden. Die Bürger haben ein Recht auf dieses Zimmer. Es darf nicht nach Lukrativitätskriterien funktionieren. Es sollte auch die Freiheit darstellen, auf die diese angeblich Freie Hansestadt Hamburg so stolz ist“, sagt Schamoni. Die Politik argumentiert, das Altonaer Museum mache altmodische Ausstellungen. Weder konservativ noch progressiv verhält sich jedoch der Senat. Zahlen sind das Entscheidende, ganz gleich, welche Institution totgespart wird. Das Schauspielhaus titelt auf dem Cover seiner Hauszeitung: „Die Regierung hat dem Bürgertum den Krieg erklärt“.

Lob der Kreativwirtschaft

Umgekehrt hypt die Hansestadt die Hamburger Kreativwirtschaft und brüstet sich mit dem Reeperbahnfestival. Am Donnerstagabend hatten sich trotz des Kulturgipfels 2.000 Hamburger zu einer Demonstration versammelt. „Ich bin als linksradikaler Student gestartet und bin jetzt Bürger“, sagt Peter Schwanewilms. Das Bürgertum, dem sich der 67-Jährige zugehörig fühlt, wolle nicht nur über den eigenen Vorgarten reden. Schwanewilms war von der Nachricht über die drohende Schließung des Altonaer Museums dermaßen empört, dass er die Bürgerinitiative „Altonaer Museum bleibt!“ gegründet hat. Der Altonaer glaubt, dass es eine Absprache gibt zwischen Ahlhaus und Stuth: „Ahlhaus macht den good guy, Stuth den bad guy – kennt man doch aus jedem Krimi.“ Stuth also ein Buhmann? Dennoch ist eine klare Linie in seinem politischen Handeln sichtbar: ein rigoroser Modernismus. „Mich wundert, dass solche Traditionshäuser angegangen werden“, sagt Christine Ebeling, eine Aktivistin aus dem Gängeviertel. Die Regierung setze auf das schnelle Geld und nicht auf langfristige Pläne.

Am Freitag rief Rocko Schamoni die Zuschauer der Abendvorstellung von „Rust – ein deutscher Messias“ auf: „Bleiben Sie auf Krawall!“ Der tapfere Museumsdirektor Hinrichsen lebt den Protest vor, er lässt sich seine bürgerlichen Freiheiten nicht nehmen, auch auf die Gefahr, seinen Arbeitsplatz zu verlieren.

ORANUS MAHMOODI

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