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Geschichte aus Papier und Stein

134 Jahre hat der neoklassizistische Bau des alten „AG“ auf seinem gelb geklinkerten Buckel, dank der beeindruckenden Sanierung hat die HfK hier jetzt optimale Bedingungen. „Präsent(e)“ gibt einen Überblick über deren künstlerischen Input

Von Henning Bleyl

Die sechs Millionen Euro sind nicht zu übersehen. Zwei Jahre lang wurde das Geld in der Dechanatstraße verbaut, jetzt hat sich das früher eher schäbig wirkende Gebäude einen Architekturpreis verdient. Als das traditionsreiche „Alte Gymnasium“ (AG) 1987 an die Kleine Helle ausgelagert wurde, war die neoklassizistische Pracht des Flügelbaus arg ramponiert, die geplante Mozarttrasse hatte ihm sogar den rechten „Arm“ amputiert. Dann zog die Hochschule für Künste ein, es wurde Geld zur Herrichtung ausgegeben – das sich in Gegensatz zu den jetzt (zur Hälfte vom Bund) investierten Mitteln äußerlich und atmosphärisch kaum bemerkbar machte.

Das auffälligste Errungenschaft des Umbaus ist ein gläserner Kubus, in dem die Proberäume untergebracht sind. Ältere Planungen sahen vor, die Übezellen in die Erde zu versenken, glücklicherweise ist das genaue Gegenteil passiert: Ein bei maximaler Platzausnutzung ganz und gar nicht eng wirkender Baukörper ist entstanden, der zudem den Innenhof zu einer aufführungstauglichen „Plaza“ macht. Obwohl ein paar historische Relikte wie eine Mauer, die früher männliche und weibliche SchülerInnen voneinander trennte, beseitigt sind, haben die ArchitektInnen Ebba Lambrecht und Hans Jürgen Hilmes dem Gebäude seinen historischen Charme weitgehend zurückgegeben – kombiniert mit anthrazit-rostrotem Chic. Unter dem Putz freilich verbirgt sich eine „High-end Technik“, wie sie keine andere der Bremer Hochschulen derzeit besitzt.

NutznießerInnen sind die MusikstudentInnen der HfK, zu denen die Musikpädagogen aus der universitären Ausbildung hinzugekommen sind. Die bildenden Künstler und Designer sind dafür im Speicher XI untergebracht. In der jetzigen Bibliothek versteht man, warum die Modedesigner am meisten über ihren Auszug moserten: Früher war der sonnendurchflutete Raum samt Wintergarten, ursprünglich die Direktorwohnung, ihre Werkstatt.

Die Turnhalle des Alten Gymnasium, in der schon Henning Scherf schwitzte, hat sich in einen „White Cube“ verwandelt, dessen verschiebbare Wände direkten Durchblick in den Schnoor erlauben. Hier ist seit gestern die Ausstellung „Präsent(e)“ zu sehen, die Rektor Peter Rautmann zufolge der Grundstock für das aufzubauende „künstlerische Gedächtnis“ der Hochschule ist. Man könnte auch sagen: ein Archiv, eine eigene Sammlung. Bislang sind 60 Schenkungen von KünstlerInnen zu sehen, die als Gastdozenten an der Hochschule lehrten. Künstlerische und chronologische Klammer des Ganzen ist die zwölfjährige Rektoratszeit von Jürgen Waller.

Waller bat die ehemaligen Gäste um ihre Gaben, insofern ist er der erste Kurator der Hochschul-Sammlung. Sich selbst hat er in Gestalt einer Fotografie von André Villers auch gleich hineinkuratiert, nicht weit von ihm hängt Gaston Diehls Aufnahme des Matisse-Ateliers in Nice. Die Botschaft ist klar: Hier tummelt sich die kreative Crème, und in der Tat hatte die Hochschule groß gewordene Namen wie Jochen Gerz, Norbert Schwontkowski oder Wolf Vostell als Gäste. Spannend wird der Überblick, weil er auch ein Stück Kunstsoziologie vermittelt: Ulrike Rosenbach zum Beispiel ist mit der DVD „Aufwärts zum Mount Everest“ dabei, was an den geschlechtsbedingten Kreativitätsfluss erinnert: Da die Männer das Tafelbild für sich reklamierten, war die junge Videokunst sozusagen frei, von Frauen entwickelt zu werden.

Die Schau, die laut Waller „um Himmels Willen keinen Anspruch auf Vollständigkeit“ hat, zeigt auch die „documenta“-geadelten Briefmarken von Sybill und Fritz Haase, etwa den derzeit viel geklebten „Deutschen Dampfer“. Haase war nicht Gast, sondern prägender Professor der HfK. Insofern ist seine Präsenz ein Vorgriff auf die geplante zweite Schau mit Arbeiten der hauptamtlichen Hochschul-KünstlerInnen. Die Selbstvergewisserung ist auf bestem Weg.

„Präsent(e)“ ist bis zum 29. Oktober täglich zwischen 16 und 19 Uhr zu sehen

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