: Die heimatlose Wirtschaft
AUFBRUCH In der globalen Fabrik steigt der Druck. Doch es gibt einen Ausgang
VON STEPHAN KOSCH
Nehmen wir an, Sie lesen diese sonntaz am Frühstückstisch. Was steht darauf? Schinken aus Spanien? Butter aus Irland? Und der Orangensaft? Aus frisch gepressten Früchten oder Konzentrat. Aber wo kommen die Orangen her? Und der Kaffee oder Tee? Irgendetwas auf dem Tisch hat bestimmt eine lange Reise hinter sich. Und selbst wenn alle Produkte auf Ihrem Frühstückstisch aus heimischer Produktion stammen sollten: Die Baumwolle, die Sie am Körper tragen, kommt garantiert aus einem anderen Kontinent. Und Ihr Handy trägt Rohstoffe aus der ganzen Welt in sich.
Wir leben in einem ziemlich durchglobalisierten Land. In einem von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich entwickelten Index, der den Grad der Globalisierung misst, liegt Deutschland vor den USA und Großbritannien. Die Konsumenten merken dies zum Beispiel an gesunkenen Preisen für Fernseher und Lebensmittel und an einer erstaunlichen Auswahl in Supermärkten und Fachgeschäften.
Eine Billion Euro verladen
Ebenso liefern die Deutschen ihre Autos und Spezialmaschinen ins Ausland. 2008, im Jahr vor der jüngsten Weltwirtschaftskrise, wurden Waren im Wert von einer Billion Euro aus Deutschland in die weite Welt verfrachtet, in den deutschen Seehäfen 312 Millionen Tonnen Fracht ein- oder ausgeladen. 1998 waren es noch 217 Millionen Tonnen. Das bedeutet ein Wachstum von 50 Prozent innerhalb eines Jahrzehnts. Ähnlich sieht es bei der Luftfracht aus.
Das alles sorgt für mehr Umsatz und Profit bei den exportorientierten Firmen, im Handel und in der Logistik. Und natürlich für viele Arbeitsplätze. „Deutschland ist Gewinner der Globalisierung“, jubelten jüngst die Wirtschaftsforscher der Deutschen Bank in einer Studie.
Doch es geht auch etwas verloren. Zum Beispiel Arbeitsplätze in den Branchen, die der Konkurrenz aus Fernost nicht mehr standhalten können. Etwa in der Textilindustrie. Oder der Handy-Produktion, die noch in den 90er Jahren zukunftsfähige Jobs in Deutschland versprach. Und wer einen Arbeitsplatz hat, nimmt dafür nicht nur immer weitere Arbeitswege in Kauf. Die Löhne halten schon lange nicht mehr mit der wachsenden Wirtschaftsleistung mit, real sind sie in den vergangenen zehn Jahren sogar gesunken. Die unsichereren Jobs in Leiharbeit, befristeter oder geringfügiger Beschäftigung sind zwischen 1998 und 2008 um über 46 Prozent gestiegen.
Wie fragil dieses ganze Gebilde ist, hat spätestens die Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt. Klar, die Finanzbranche ist eine der treibenden Kräfte der Globalisierung. Aber wie groß die Abhängigkeiten voneinander sind – Vermittler von Hypothekenkrediten in den USA haben die gesamte Weltwirtschaft zum Beben gebracht –, das hat selbst Experten überrascht. Und die Bundesregierung finanzierte am Ende die Rettungsaktionen für Banken und Bankerboni auch dadurch, dass sie Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld kürzte. Die Ärmsten haben unter den Risiken der globalisierten Wirtschaft am stärksten zu leiden. Die jüngste Krise wurde immer wieder verglichen mit der Weltwirtschaftskrise der 1930 Jahre. Dabei wird aber nur selten darauf hingewiesen, dass ein Ort in der österreichischen Provinz sich dem Strudel entziehen konnte. Wörgl in Tirol führte 1932 den „Wörgler Schilling“ ein, der nur in der Region galt und bei längerem Besitz an Wert verlor. Damit sollten die Bürger dazu gebracht werden, ihr Geld in ihrer Stadt auszugeben und nicht zu horten.
Das Wunder von Wörgl
Das „Wunder von Wörgl“ nahm seinen Lauf, überall wurde gebaut und investiert. In den vierzehn Monaten des Experiments sank die Arbeitslosenquote in Wörgl von 21 auf 15 Prozent ab, während sie im übrigen Land weiter anstieg. Dann zog die Österreichische Nationalbank vor Gericht und gewann, der Wörgler Schilling wurde Geschichte.
Doch aus der lässt sich ja lernen. Die Stärkung der regionalen Wirtschaftskreisläufe durch Instrumente wie Regiogeld, lokale Energieversorgung oder dezentrale Handelsstrukturen kann ein Netzwerk bilden, das stabilen Wohlstand für die Bewohner schafft und soziale Bindungen stärkt. Und neue belastbarere Strukturen schafft, die die nächste Wirtschafts- oder Ressourcenkrise überleben. Bei dieser „Reregionalisierung“ geht es um mehr als um heimelige Gefühle. Es geht darum, die Regeln der vermeintlich übermächtigen Globalisierung zu brechen. Und einer entgrenzten und heimatlos gewordenen Wirtschaft wieder einen Sitz im Leben zuzuweisen.
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