: Armutszeugnis des Senats
Aus dem Problem der Armut hat der rot-rote Senat schon in der vergangenen Legislaturperiode keinen Hehl gemacht. Stoppen wird er das Problem auch in der nächsten nicht. Dazu fehle das Geld
von FELIX LEE
In Berlin nimmt man’s mit Humor. „Hartz-IV-Treff“ heißt die Kneipe in der Weisestraße – und ist laut diversen Internet-Blogs zumindest in dem Nordneuköllner Armenkiez derzeit die „angesagteste Location“. So trocken dieser Zynismus auch sein mag – er täuscht nicht darüber hinweg, dass die Sozialpolitik nicht gerade ein Themenfeld ist, auf dem sich der sozialdemokratisch-sozialistische regierte Senat rühmen kann. Nach fünf Jahren Rot-Rot ist Berlin mehr denn je die Hauptstadt der Unterschicht. Und mit Blick auf den jüngst ausgehandelten Koalitionsvertrag wird sie es wohl auch noch eine Weile bleiben.
Wie schon im Koalitionsvertrag von vor fünf Jahren haben sich die Koalitionäre auch in der aktuellen Version wieder auf den „Leitgedanken der Sozialen Stadt“ geeinigt, mit dem „die Koalition den sozialen Ungleichheiten entgegenwirken“ will. Von Stadtteilarbeit ist in dem vierseitigen Passus zur Sozialpolitik des 60-Seiten-Vertrags die Rede, „die konzeptionell weiterentwickelt“ werden soll. Und für die „Entwicklung der sozialen Infrastruktur“ will sich der neue Senat einsetzen, „um Armutsrisiken zu vermindern und Ausgrenzung entgegenzuwirken“.
Umfassende Strategien mit konkreten Maßnahmen zur Armutsbekämpfung sind jedoch auch in dem aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und Linkspartei nicht ersichtlich. Mehr Geld werde es für Soziales nicht geben, bestätigte die Sprecherin der Senatssozialverwaltung, Roswitha Steinbrenner.
Mehr als 430.000 Berliner beziehen derzeit Hartz IV und müssen mit 345 Euro im Monat auskommen. Dem gegenüber steht gerade mal eine Million Menschen, die überhaupt noch in sozialversicherungspflichten Beschäftigungsverhältnissen stecken. Im Bundesländervergleich liegt Berlin längst an der Spitze der Hartz-IV-Bezieher. Und Hartz IV bedeutet: Armut.
Schuld an der Misere hat sicher nicht der rot-rote Senat. Vor allem die Linkspartei hatte sich von Anfang an gegen die verhasste Arbeitsmarktreform der rot-grünen Bundesregierung ausgesprochen – und so weit wie möglich versucht, sozial besonders harte Maßnahmen abzufedern. Die Mietobergrenze wurde in Berlin bewusst flexibler ausgelegt, als es in anderen Städten der Fall ist. Rot-Rot hat das Sozialticket wiedereingeführt
Vor allem hat Berlins Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) in ihrer gesamten bisherigen Amtszeit keinen Hehl daraus gemacht, dass das angeblich so „wohlhabende Deutschland“ ein gravierendes Armutsproblem hat. „Dürftig“, „unkonkret“ und „lapidar“, kommentiert hingegen die sozialpolitische Sprecherin der oppositionellen Grünen im Abgeordnetenhaus, Jasenka Villbrandt, den Passus zur Sozialpolitik: „Nicht irgendwelche schön klingende Floskeln braucht die Stadt, sondern konkrete Maßnahmen.“
Eine wird es geben. Immerhin verspricht Rot-Rot, sich künftig auch um wohnungslose Alkoholiker zu kümmern, die nicht trocken sind. Bislang galt die Regel: Wer nicht vom Alkohol abgeschworen hat, dem wird auch nicht geholfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen