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Eigene Beschäftigte als Geiseln genommen

Weil die Norddeutsche Affinerie gern günstigen Strom und ein eigenes Müllkraftwerk hätte, benutzt sie 400 Arbeitsplätze als Verhandlungs-Faustpfand. Doch das berührt den Stromanbieter Vattenfall wenig

Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk. Und im Klappern hat es Werner Marnette, Chef der Norddeutschen Affinerie zur Meisterschaft gebracht. Nun droht der Boss: Wenn Europas größte Kupferhütte nicht weiterhin Billig-Strom bezieht und bis 2009 ein eigenes Kraftwerk bauen darf, müsse sie 400 von 2.000 Hamburger Mitarbeitern entlassen. Jobs als Faustpfand – das zieht meist, weiß Marnette.

Der Hintergrund: Der Stromvertrag der energiefressenden Affi mit der belgischen Electrabel läuft zum Jahresende aus. Und trotz zäher Verhandlungen mit den vier großen deutschen Stromkonzernen ist kein Versorger in Sicht, der der Kupferhütte Strom zu den bisherigen Konditionen liefern würde. Stattdessen würde sich die Jahres-Stromrechnung der Affi von jetzt 26,8 auf dann 42,5 Millionen erhöhen.

„Das kann sich die Affinerie nicht leisten“, klagt Marnette und holt zum Gegenschlag aus. Würden die Stromversorger nicht einlenken, müssten sie auch verantworten, dass die Affi um Strom zu sparen einen Teil ihres Betriebs für ein paar Jahre stilllegt und dabei bis zu 400 Arbeitsplätze abbaut. Die Stilllegung könnte allerdings zurückgenommen werden, wenn die Hütte 2009 ein eigenes Müllkraftwerk erhalte, für dass ihr die Stadt eine Genehmigung in Aussicht gestellt hat. Um bindende Zusagen von Hamburg zu erhalten und sie beim Kampf gegen die Stromgiganten mit ins Boot zu kriegen, klagte Marnette gestern Hamburgs Wirtschaftssenator Uldall (CDU) sein Leid.

Auch wenn die Strompreiserhöhung für Marnette mehr als ärgerlich ist, so leidet und droht der Mann doch auf hohem Niveau. Im vorigen Jahr verdoppelte die Kupferhütte ihren Gewinn auf netto 61 Millionen Euro und kündigte für das laufende Geschäftsjahr bereits einen neuen Rekordgewinn in wohl dreistelliger Millionenhöhe an. So mutet es schon merkwürdig an, wenn Marnette dem Stromversorger Vattenfall, mit dem er wochenlang über einen Stromvertrag verhandelte, ausgerechnet „Gewinnstreben“ vorwirft.

Deren Vorstandschef Hans-Jürgen Cramer kontert cool: Die Affinerie habe es schlicht verpennt, neue Stromverträge abzuschließen, als die Energiepreise noch im Keller waren. Nun aber hätten die Preise an der Leipziger Strombörse, an denen auch Vattenfall nicht vorbeikomme, angezogen. „Wir haben alles in unserer Macht Stehende getan, um mit der Affinerie zu einem Vertragsabschluss zu kommen und insgesamt 30 Angebote unterbreitet“, berichtet Cramer.

Wie sein Verhandlungspartner sieht auch Vattenfall keine Spielräume im Preispoker mehr. Schließlich steigerte der Stromversorger seinen Gewinn 2005 nur um 43 Prozent auf 1 Milliarde Euro, hat mithin keinen Cent zu verschenken. Denn wie immer der Preiskampf auch ausgeht: Es gibt ja noch die 400 Kupferwerker, die im Notfall die Zeche dafür zahlen könnten, dass die Renditen von Vattenfall und Affinierie auch 2007 ungeschmälert bleiben. MARCO CARINI

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