: Gegen das kalte Holland
Die Niederlande vor dem Umbruch. Premier Balkenende ist nur scheinbar Wahlsieger. Der wirkliche heißt Jan Marijnissen
Aus Amsterdam KLARA ROSENBACH
Er wirkte gelöst und zerknirscht zugleich. Als der niederländische Premierminister Jan Peter Balkenende in der Nacht zu gestern in Den Haag vor seine Anhänger trat, waren zwei Dinge klar: Seine Christdemokraten sind wieder die stärkste Partei geworden. Aber – und das war die schlechte Nachricht für den Premier – für eine Mitte-rechts-Koalition wird es nicht mehr reichen.
Die Christdemokraten (CDA) kamen auf 41 der insgesamt 150 Parlamentssitze. Aber der bisherige Koalitionspartner, die rechtsliberale VVD, verlor im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2003 6 Sitze und landete bei nur 22. Auch mit der Christen-Union oder der zweiten liberalen Partei, D66, reicht es damit nicht für eine Koalition. Auf der linken Seite sieht es nicht viel besser aus.
Balkenendes Herausforderer, der Sozialdemokrat Wouter Bos, kam auf 32 Sitze – das sind 10 weniger als noch bei den Wahlen 2003. Die Grünen bleiben stabil bei 7 Sitzen. Auch hier ist keine Koalition möglich.
Die beiden größten Gewinner der Wahlen liegen an den extremen Rändern der Parteienlandschaft. Die Sozialisten (SP) gewannen 17 Sitze dazu und können sich über 26 Sitze freuen. „Das ist ein historischer Tag für die Niederlande. Wir werden dafür sorgen, dass die Niederlande menschlicher und sozialer werden“, rief der SP-Spitzenkandidat Jan Marijnissen seinen Anhängern zu, die ihn die ganze Nacht über euphorisch feierten. Die SP konnte vor allem die Proteststimmen derjenigen für sich verbuchen, die gegen die teilweise schmerzlichen liberalen Reformen der Regierung aufbegehren wollten.
Auf der anderen, rechten Seite eroberte der Rechtspopulist Geert Wilders, der sich selbst zum Nachfolger von Pim Fortuyn ernannt hat, immerhin 9 Sitze und vertritt damit die fünftstärkste Partei in den Niederlanden. „Die Wähler haben sich immer mehr auf die Extreme zurückgezogen. Das macht mir große Sorgen“, sagte der niederländische Nochaußenminister Ben Bot (CDA). Für den Politikwissenschaftler André Krouwel ist der Erfolg Wilders’ ein Zeichen dafür, dass die Diskussion um die Integration von Einwanderern noch lange nicht vom Tisch ist.
Noch ist völlig unklar, wie es in den Niederlanden nun weitergehen soll. Denn die wirtschaftlichen Konzepte der möglichen Koalitionspartner liegen weit auseinander. Selbst die beiden großen Parteien, CDA und PvdA, können allein keine große Koalition formen. Sie brauchten dazu einen dritten Partner, zum Beispiel die SP oder die Christen-Union, die sich ebenfalls verbessern konnte – von 3 auf 6 Sitze.
Aber auch das dürfte sehr schwierig werden, denn Sozialdemokrat Wouter Bos hat vor den Wahlen mehrfach erklärt, dass er nicht für den Posten des Vizepremiers unter Balkenende zur Verfügung stehen würde. Auch nach der Wahl blieb er hart im Ton gegen die CDA: „Die Wähler haben sich ganz eindeutig gegen das kalte Holland der Christdemokraten entschieden“, sagte er – auch mit Blick auf die großen Gewinne der Sozialisten.
Bisher scheint nur eines klar: Es wird aller Voraussicht nach keine Koalition mit Rechtspopulist Geert Wilders geben. Alle anderen Parteien haben bereits angekündigt, dass sie keine Koalition mit Wilders eingehen wollen. Er hat unter anderem einen totalen Einwanderungsstopp gefordert. „Wir haben immer gesagt, dass wir mit allen Parteien reden wollen. Aber die Differenzen zu Geert Wilders sind zu groß“, erklärte Balkenende. Wilders sprach bereits von einem cordon sanitaire, der in Belgien seit Jahrzehnten verhindert, dass der rechtsextreme Vlaams Belang an einer Regierung beteiligt wird.
Das Ende der Balkenende-Koalition mit der VVD bedeutet wohl auch das Ende der Integrationsministerin Rita Verdonk. Auch sie war wegen ihrer harten Linie gegenüber Einwanderern und Asylbewerbern in den vergangenen Monaten immer wieder kritisiert worden. Schließlich trat in diesem Sommer wegen Verdonks Politik sogar der kleine liberale Koalitionspartner D66 aus der Regierung aus. Deshalb waren die vorgezogenen Wahlen notwendig geworden. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp über 80 Prozent.
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