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Euphorie und Empörung

ERDOGAN-BESUCH Der türkische Ministerpräsident lässt sich in Köln von seinen Fans umjubeln. Zehntausende demonstrieren friedlich gegen den Auftritt

Erdogan stimmt die in Deutschland lebenden Türken auf die Präsidentschäftswahl ein

AUS KÖLN PASCAL BEUCKER UND ANJA KRÜGER

Gülten Altin hat einen gelben Sicherheitshelm auf dem Kopf, ihr Gesicht ist mit Ruß geschwärzt. Das ist ihr Zeichen der Trauer um die mehr als 300 Bergleute, die bei dem Grubenunglück in Soma ums Leben kamen. Sie ist aus Bremerhaven nach Köln angereist. Die Empörung über den Umgang des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit der Katastrophe in der Provinz Manisa ist nicht nur bei ihr groß. „Aber wir wären auch gekommen, wenn das nicht passiert wäre“, sagt Altin.

Mehr als 50.000 Demonstranten sind es, die am Samstag durch die Kölner Innenstadt ziehen. Es ist der größte Anti-Erdogan-Protest, den die Bundesrepublik je gesehen hat. Sie kommen aus ganz Deutschland und aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Österreich und sogar aus Großbritannien. „Wir sind für die moderne Türkei auf der Straße“, sagt die Kölnerin Gülcan Kuzey. Sie hält ein Schild mit dem Erdogan-Konterfei in die Höhe. „Scher dich zum Teufel“ steht darauf.

Auf der anderen, der rechten Rheinseite haben sich die Anhänger Erdogans versammelt. Rund 18.000 sind es. Während bereits die Abschlusskundgebung der Gegendemonstration läuft, müssen sie in der Lanxess Arena in Köln-Deutz noch sehnsüchtig auf ihren Messias warten. Um 17.20 Uhr ist es so weit. Gemeinsam mit seiner Frau Emine betritt Erdogan die Halle. Frenetischer Jubel brandet auf, Türkeifahnen werden geschwenkt. Die beiden setzen sich in die erste Reihe. In ihrem Gefolge haben sie einen ganzen Tross von Regierungsmitgliedern und AKP-Abgeordneten. Dann wird erst mal gemeinsam gebetet. Um 18.25 Uhr beginnt Erdogan seine Rede. „Allah sei mit euch“, ruft er seinen Anhängern zu. „77 Millionen Brüder und Schwestern grüßen euch!“

Offizieller Anlass für Erdogans Besuch in der Domstadt ist das zehnjährige Jubiläum der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Eineinhalb Stunden redet er, die deutsche Vorfeldorganisation seiner AK-Partei erwähnt er nur mit wenigen Worten. Sein Auftritt dient einem anderen Zweck. Erdogan will die in Deutschland lebenden Türken auf die im August anstehenden Präsidentschaftswahlen in der Türkei einstimmen, bei denen sie mitstimmen dürfen. „Wir sind ein Volk, haben eine Fahne, haben eine Heimat, sind eine Nation“, ruft er in den Saal. „Ihr seid Angehörige einer großen Na0tion.“

Die Versammelten applaudieren heftig. „Steh aufrecht, beuge dich nicht, die Auslandstürken sind an deiner Seite“, skandieren sie. Auf einem Transparent steht: „Wir sind hier, um dich noch mächtiger zu machen. Wir sind hier, um für dich zu sterben.“

Schon vor Wochen hat die Alevitische Gemeinde die Demonstration gegen den Erdogan-Auftritt angemeldet. Islamisierung, grassierende Korruption, Unterdrückung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit – für die Erdogan-Kritiker gibt es mehr als genug Gründe, um gegen ihn zu demonstrieren. Zunächst waren die Anmeldezahlen für die Demonstration bei 10.000, berichtet Yilamz Kahraman, Sprecher der Alevitischen Gemeinde Deutschland. Doch nach den Ereignissen in Soma und dem Tod zweier Männer, die von Sicherheitskräften getötet wurden, haben sie sich verdreifacht. „Wir sind gekommen, weil Erdogan unsere Leute umgebracht hat“, sagt eine Frau, die aus Großbritannien angereist ist.

Die Demonstration ist ungeheuer lang und bunt. Unzählige Fahnen flattern. Viele haben selbst gemalte Transparente dabei. „Leben vor Profit“ steht darauf, oder: „Erdogan muss zittern, denn wir twittern“, in Anspielung auf das von Erdogan verhängte Twitter-Verbot. Und immer wieder: „Erdogan ist ein Diktator.“

Türken und Kurden, Kemalisten und Linke marschieren friedlich nebeneinander. „Heute kommt es nicht auf Unterschiede an, sondern auf unseren gemeinsamen Protest gegen Erdogan“, sagt Cemal Baba vom alevitischen Fernsehsender Yol TV, der Demonstration und Abschlusskundgebung in die Türkei überträgt.

Erdogan spricht von einer „sehr negativen Allianz“, die sich gegen ihn verbündet hätte. Er propagiert ein schlichtes Freund-Feind-Denken. Seine Gegner würden „schwarze Propaganda“ betreiben und die Türkei beschimpfen. Vehement wettert er gegen die Medien im In- und Ausland, die gemeinsame Sache mit Terroristen machen würden: „Ist es denn Pressefreiheit, Polizisten umzubringen?“, fragt er demagogisch.

Er hingegen, beteuert er, sei der Garant von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. „Wenn ein Diktator wirklich vorhanden wäre, könnte doch keiner in der Opposition so reden“, ruft Erdogan in den Saal. „Wir werden entschlossen unseren Weg fortsetzen.“ Genau das fürchten seine Kritiker.

Während Erdogan noch redet, haben seine Gegner längst den Heimweg angetreten. Am Ende eines langen Demonstrationstages zieht Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers eine positive Bilanz. „Kundgebungen – auch die der Opposition – sind in einer Demokratie kein Sicherheitsrisiko“, sagt er. „Insofern gab es zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der Sicherheit von Herrn Ministerpräsident Erdogan in Köln.“ Alles sei friedlich verlaufen.

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