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Das Hoch und Tief der WASG

Keiner politischen Formation ist es innerhalb eines Jahres gelungen, die Berliner Parteienlandschaft so durcheinander-zuwirbeln wie der WASG. Nach einem politischen Aufwind droht der Partei seit der Wahl im September nun der Niedergang

Ihren Niedergang hat die Berliner WASG sich selbst zuzuschreiben

von FELIX LEE

Es sollte der Showdown werden. Auch wenn es die Berliner WASG nicht geschafft hatte, bei der Abgeordnetenhauswahl im September über die Fünf-Prozent-Hürde zu gelangen – wenigstens mit ihren Vertretern in den sieben Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) wollten sie zum Jahresende noch einmal für Stimmung sorgen. „Weihnachtsgans“ nannten sie ihre Aktion und forderten, dass allen rund 230.000 Arbeitslosengeld-II-Beziehern dieser Stadt 80 Euro ausgezahlt wird – zum Kauf einer Weihnachtsgans. Doch ihre Anträge wurden allesamt abgeschmettert. In der BVV Tempelhof-Schöneberg stimmten die Verordneten von SPD, CDU und FDP ohne Aussprache gegen den Antrag. In Treptow-Köpenick lehnte der Vorsteher den Antrag ab – wegen formaler Mängel. In Pankow wurde der Antrag auf die nächste Sitzung verschoben – auf den 17. Januar. Und in Mitte, Lichtenberg, Friedrichshain-Kreuzberg und Marzahn-Hellersdorf wurde er zur weiteren Behandlung in die Ausschüsse verwiesen – auch sie tagen erst wieder im neuen Jahr. Damit endet die Berliner WASG am Jahresende dort, wo sie am Jahresanfang begonnen hatte: Als Bittsteller einer Regionalorganisation, die es mit gut gemeinter Symbolpolitik ab und zu in die lokalen Schlagzeilen schafft.

Wir erinnern uns. Vor einem Jahr. Die Bundestagswahl lag gerade drei Monate zurück. Zusammen mit der in Linkspartei.PDS umbenannten PDS hatte es die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit in den Bundestag geschafft. Beide waren als „Links-Fraktion“ sogar stärker als die Grünen. Von einer neuen linken Kraft war die Rede – von einem parlamentarischen Arm der außerparlamentarischen Protestbewegungen, wie es ihn seit der Verbürgerlichung der Grünen vor fast nunmehr 15 Jahren nicht mehr gegeben hat. Euphorie machte sich unter der parteiorientierten Linken breit. Und selbst im fernen Großbritannien schauten Sozialisten und Kommunisten neidvoll auf Deutschland und hofften, dass von der linken Aufbruchstimmung auch ein wenig über den Kanal herüberschwappt.

Nur in Berlin, der bereits rot-rot regierten Stadt, ging alles seinen gewohnten Gang. Auf der einen Seite eine PDS, die sich zum Zeichen des guten Willens an ihrem Namen zwar auch den Zusatz „Linkspartei“ hängte, aber schnell signalisierte, dass sie nicht wirklich erpicht auf eine engere Zusammenarbeit mit den rebellischen Linksaktivisten war. Und auf der anderen Seite eben diese Linksaktivisten, die alles Böse dieser Stadt auf eben diese Regierungspartei PDS.Linkspartei kaprizierte und dabei die programmatischen Gemeinsamkeiten völlig aus den Augen verlor – und damit auch ihre eigentlichen Feindbilder. Keine grundlegende neue Situation also, die es in der Hauptstadt in der Linken zuvor nicht auch schon gegeben hat.

Die PDS-Spitze um Stefan Liebich (damaliger Fraktionsvorsitzender), Klaus Lederer (seit etwas mehr als einem Jahr Parteivorsitzender) und Harald Wolf (außerparlamentarischer Westberliner Alt-Aktivist und amtierender Wirtschaftssenator) machte keinen Hehl daraus, dass sie diese linken Querschießer, mit einigen von denen hatte Harald Wolf bereits in seiner Aktivistenzeit seine Probleme, lieber ignoriert hätte. Das wäre ihr sicherlich auch gelungen. Wäre da nicht Lucy Redler auf die Bühne getreten.

27 Jahre jung, in ihrer Argumentation ein wenig einseitig, rhetorisch jedoch hervorragend geschult, wie es sich für eine aufrechte Trotzkistin auch gehört. Äußerlich überhaupt nicht dem szenetypischen Schmuddellook entsprechend schaffte sie es sogar zum Auftritt bei Sabine Christiansens sonntäglicher Talkshow. Selbst abgebrühten Profis wie Oskar Lafontaine, der 40 Jahre Politikerfahrung hinter sich hat, erteilte sie Nachhilfe in Sachen Privatisierungspolitik und marxistischer Nationalökonomie. Und wahrscheinlich war es genau diese ideologische Borniertheit, die sie weit über Berlin hinaus bekannt gemacht hat und selbst das Magazin für 30-jährige Junggebliebene Neon dazu hinriss, sie 2006 zu einen der wichtigsten Personen Deutschlands zu küren.

Mit der charismatischen „Frontfrau“ vorneweg sagte die Berliner WASG der PDS den Kampf an und zog als eigenständige Formation mit großem Brimborium in den Wahlkampf. Zwischenzeitlich bescheinigte selbst das Meinungsforschungsinstitut Forsa der WASG ein Wählerpotenzial von bis zu zwölf Prozent. Nicht einmal die Grünen in den Hoch-Zeiten der Umwelt- und HausbesetzerInnenbewegung in den 80er-Jahren – damals hießen sie noch „Alternative Liste“ – schafften es, innerhalb weniger Monate die Parteienlandschaft so durcheinanderzuwirbeln wie die Berliner WASG mit ihren nicht ganz 800 Mitgliedern.

Das tatsächliche Wahlergebnis im September war dann eher ernüchternd. Auf gerade einmal 2,9 Prozent kam die junge Formation um Lucy Redler und verfehlte damit den Einzug ins Abgeordnetenhaus. Und doch waren es fast zehn Prozentpunkte, die die Linkspartei nicht zuletzt wegen des eigenständigen WASG-Antritts seitdem zu verschmerzen hat.

„Der Berg kreißt und gebiert eine Maus“, bewertet FU-Parteienforscher Gero Neugebauer das Wahlergebnis der WASG. Alle gesteckten Erwartungen seien nicht erfüllt worden. Und das habe die WASG sich in erster Linie selbst zuzuschreiben. Denn dem Beschluss des Landesverbands, eigenständig gegen die PDS anzutreten und sich damit dem Willen der Bundesspitze zu widersetzen, die republikweit um die Fusion der beiden linken Parteien bemüht ist, ging ein monatelanger innerparteilicher Streit voraus. Und der wurde mit allen erdenklichen Bandagen geführt. Angetreten mit diversen linken Ansprüchen wie Basisdemokratie und einem weitgehend gleichberechtigten Miteinander, wusste die Fraktion um Redler und den pfiffigen und langjährigen Kreuzberger Profipolitiker Michael Prütz den Landesverband auf Antifusionskurs zu trimmen. Prütz hatte es zuvor fast geschafft, ein Volksbegehren zur Abwahl des rot-roten Senats durchzusetzen.

Fusionsbefürworter, die sich um Klaus-Dieter Heiser zur Rixdorfer Initiative zusammen geschlossen hatten, wurden schonungslos abgesägt. Und auch gegen ein Vorstandsmitglied mit abweichender Meinung wurde gemobbt. „Die WASG hat sich selbst ins Knie geschossen“, sagt Parteienforscher Neugebauer. Denn der Streit habe in der Linken viele Sympathien verspielt.

„Der Berg kreißt und gebiert eine Maus“, sagt Politologe Neugebauer

Auch dem hehren Anspruch einer sogenannten Bewegungspartei hat sie nur kaum genügt. Zwar holten sie sich mit Michael Kronawitter einen stadtbekannten Antifa-Aktivisten ins Boot. Auch gab es 2006 kaum eine Sozialabbau-Demo, an der nicht die orangefarbene WASG-Fahne in irgendeiner hinteren Reihe wehte. Aber eben nur in den hinteren Reihen. „Für die linke Szene war die WASG nicht wirklich eine Bereicherung“, sagt Neugebauer. Dazu sei sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen.

Drei Monate nach der Abgeordnetenhauswahl ist es still um den Berliner Landesverband geworden. Den bundesweiten Fusionsprozess mit der Linkspartei will eine deutliche Mehrheit auch weiterhin nicht mitgehen. Im Gegenteil: Der weitaus kleinere Teil der WASG wird den Fusionsprozess mittragen – und damit von der weitaus mitgliederstärkeren PDS endgültig geschluckt werden. Der amtierende Landesvorstand, dem Redler und Prütz zugehören, plant hingegen den Austritt aus der Bundes-WASG und den Aufbau einer neuen Regionalorganisation – „obwohl dies den eigentlichen Zielen Redlers widerspricht“, sagt Neugebauer. Denn ihre Strategie sei es gewesen, zu der Linkspartei ein besonderes Verhältnis zu entwickeln. Sie wollte der Stachel im Fleisch sein. Als eigenständiger Verein wird sie umso leichter als Querulant von der Linkspartei ignoriert werden. Ob sie politisch überleben werden, hänge jedoch ganz von der Politik des rot-roten Senats ab, sagt Neugebauer. Biete sie genug Angriffsfläche, könnte das Protestpotenzial der parteiorientierten Linken durchaus wieder wachsen.

Und dennoch tut gerade die PDS gut daran, die Fusion auf Bundesebene mit der WASG nicht nur als reine Machtverteidigung zu begreifen, damit alles so bleibt wie bisher. Beim Regierungspartner, der SPD, mag sie damit zwar gut ankommen. Zum eigenen Überleben bleibt der PDS aber nichts anderes übrig, als sich neuen linken Kreisen zu öffnen – vor allem im Westteil der Stadt.

Reine Symbolpolitik war die Weihnachtsgans-Aktion zum Jahresende dann doch nicht. In der BVV-Mitte war ein junger Arbeitslosengeld-II-Empfänger anwesend, der ein Flugblatt der WASG falsch verstanden hatte und dachte, er könne bei den Sitzung der Bezirksverordneten persönlich eine Weihnachtszulage beantragen. Nachdem ihm mitgeteilt wurde, das dem nicht so sei, zeigte er sich sehr enttäuscht. Aus Mitleid legten die beiden anwesenden WASG-Vertreter spontan 80 Euro zusammen und gaben sie dem jungen Mann mit. So gab es zumindest für einen Arbeitslosengeld-II-Empfänger am Weihnachtstag doch noch eine Gans. Dank WASG.

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