DIE AUFSTOCKUNG DER US-TRUPPEN ÄNDERT NICHTS AM DESASTER IM IRAK
: An der Realität vorbei

Über 20.000 neue Truppen für den Irak: George Bush gleicht einem verzweifelten Radler, der am Straßenrand steht und schwitzend immer mehr Luft in einen löchrigen Reifen pumpt. In seiner groß angekündigten Rede zur neuen Irakstrategie hatte er wenig Neues zu bieten. Die Idee, sich auf die Befriedung Bagdads zu konzentrieren, ist genauso alt wie die Hoffnung, die irakischen Sicherheitskräfte so lange zu trainieren, bis diese für ihre Bürger keine Gefahr, sondern Schutz darstellen.

Einige der konstruktivsten Vorschläge hat Bush gleich vollkommen verworfen. Hilfe von außen – also von Iraks Nachbarländern Iran und Syrien – zu holen, das hatte ihm die Baker-Hamilton-Kommission geraten. Doch in seiner Rede hat Bush diese Länder wieder einmal frontal angegriffen.

Es ist schwer vorstellbar, wie die US-Truppen in den nächsten Wochen in der bürgerkriegsähnlichen Atmosphäre im Irak agieren sollen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, Partei zu ergreifen. Egal, ob sie nun gegen sunnitische Aufständische oder schiitische Milizen vorgehen: Washingtons Soldaten werden sich de facto an den konfessionellen Säuberungsaktionen der jeweils anderen Seite beteiligen. Ohnehin werden sich die immer noch dünn gesäten US-Truppen hüten, gegen die schiitischen Milizen tatsächlich eine zweite Front zu eröffnen. Stattdessen scheint eine Arbeitsteilung wahrscheinlicher: Die US-Soldaten werden nach Bagdad und Anbar geschickt, um gegen die sunnitischen Aufständischen vorzugehen. Auf der anderen Seite bleibt der Appell an die schiitische Regierung Maliki, gegen die schiitischen Milizen in ihren eigenen Reihen vorzugehen. Ob Maliki das kann oder will, steht auf einem anderen Blatt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dieser sich heute mehr vor Muktada Sadrs Mahdi-Armee fürchtet als vor George Bushs’ Drohungen.

So geht die Debatte in den USA, wie der Irak noch zu retten und die Boys nach Hause zu bringen seien, ein wenig an der Realität vorbei. Die US-Regierung sollte lieber zugeben, dass sie im Irak einen blutigen Bürgerkrieg angezettelt hat – und nun danach trachtet, diesem möglichst ohne großen Gesichtsverlust zu entfliehen.

KARIM EL-GAWHARY