randnotizen aus dem us-wahlkampf (4): Demokraten verpassen John Kerry einen Maulkorb
„John Kerry hat uns schon eine Wahl gekostet. Er sollte einfach bis nach den Wahlen den Mund halten.“ Was ein Wahlstratege der Demokraten zu Wochenbeginn noch anonym forderte, ist nun in aller Munde. John Kerry, demokratischer Senator und ehemaliger Herausforderer George W. Bushs bei den letzten Präsidentschaftswahlen, musste schließlich gehorchen. Gestern sagte er alle weiteren Auftritte vor den Kongresswahlen am kommenden Dienstag ab und entschuldigte sich bei den US-Soldaten für einen „verbockten“ Witz. Hintergrund war Kerrys Appell an Studenten in Kalifornien, sie sollten fleißig lernen und sich bilden. „Wenn Sie das nicht machen, sitzen Sie irgendwann im Irak fest.“ Das wurde verstanden als Behauptung, nur Deppen würden sich zum Militär melden, der insbesondere in Kriegszeiten in den USA sakrosankten Institution.
Die Republikaner, in allen Umfragen weit hinter den demokratischen Herausforderern und offensichtlich kurz davor, zum ersten Mal seit 12 Jahren ihre Mehrheit im Kongress zu verlieren, frohlockten. Endlich ein Thema für die Offensive: Präsident Bush und jeder einzelne republikanische Kandidat forderte umgehend, Kerry müsse sich bei den Soldaten entschuldigen. Der in die Enge getriebene Kerry machte alles noch schlimmer, indem er erklären ließ, was er eigentlich habe sagen wollen. Im Redemanuskript habe es geheißen, wer nicht anständig lerne, würde „uns“ irgendwann im Irak festsitzen lassen – und das sei auf Präsident Bush gemünzt gewesen. Die Demokraten haben genug. In der Show des liberalen Radiomoderators Don Imus entspann sich folgender Dialog: Kerry: „Sie [die Republikaner] versuchen, vom Thema abzulenken. Es ist ihre Schmutz- und Angstkampagne …“ Imus fragt, warum sich Kerry nicht entschuldigt. Kerry: „Natürlich tut mir ein verbockter Witz leid. Glauben Sie, ich mag verpfuschte Witze? Ich meine, das ist ganz schön blöd.“ Imus drängt Kerry, nicht mehr öffentlich zu sprechen: „Ich liebe Sie, aber hören Sie auf!“ Kerry: „Ich glaube, es ist wichtig, über Irak zu sprechen.“ Imus: „Ich flehe Sie an!“ Kerry: „Ich höre Sie. Sie müssen nicht flehen. Sie sind mein Freund. Ich verstehe, was Sie sagen. Aber ich sage Ihnen: Ich werde diese Leute nicht lügen und Dreck verspritzen lassen.“ Imus: „Hören Sie auf, ich flehe Sie an.“ Kerry: „You got it.“ Die Affäre Kerry, ein Punktsieg für die Republikaner. Und bei den Demokraten ist ein alter Bekannter zurück: Die Angst, mehr als nur einen Witz zu verbocken. BERND PICKERT
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