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Verbände sehen Verstaatlichung

Auf der Parlamentsanhörung zur Gesundheitsreform hagelt es Kritik. Weil sie keine politische Veränderung mehr erwarten, erwägen die Verbände den Gang nach Karlsruhe

BERLIN taz ■ „Wenn die Parlamentarier rufen, stehen wir zur Verfügung“ – Hans Georg Baum, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, strafft das Sakko und geht zu seinem Platz. Gestern begann in Berlin die parlamentarische Anhörung zur Gesundheitsreform. Die Volksvertreter haben insgesamt 26 Stunden Zeit, Experten und Verbände zu ihrer Meinung zum Gesetzentwurf zu befragen.

54 Verbände waren zur ersten Runde eingeladen und auch gekommen. Tatsächlich. Als vor einem Monat das Bundesgesundheitsministerium zur Anhörung eingeladen hatte, waren die Chefs der größten Verbände nach gegenseitiger Absprache ferngeblieben. Die offizielle Begründung lautete: Zeitmangel. Denn das Ministerium hatte erst vier Tage vor dem Termin einen offiziellen Gesetzentwurf versandt. Ihr Urteil stand jedoch schon lange vorher fest: Die Reform taugt nichts. Ein Verbandsvertreter räumt denn auch ein: „Natürlich hätten wir Zeit gehabt, wenn es sein muss, Tag und Nacht. Aber ich mache doch nicht am Montag Vorschläge, die am Dienstag eh nicht berücksichtigt werden.“

Viel Hoffnung, im parlamentarischen Prozess noch Veränderungen zu erreichen, machen sich die Lobbygruppen diesmal auch nicht. „Es wird schwierig sein, die grundlegende Richtung hin zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens zu ändern“, sagt Klinikvertreter Baum. „Substanziell wird nichts verändert“, meint auch Rolf Stuppardt, Vorstandschef des Verbands der Innungskrankenkassen.

Die Kassen- und Klinikverbände suchen bereits nach eigenen Wegen, Veränderungen zu verhindern. So sollen sich die Kassenverbände zwar laut Reform im kommenden Jahr zu einem Dachverband zusammenschließen, doch Verbandschef Stuppardt sagt dazu: „Ich kann meinen Mitgliedern nicht empfehlen, dabei aktiv mitzuarbeiten.“ Auch verfassungsrechtliche Bedenken sprächen gegen eine Reform der Kassenorganisation. Der Klinikverband will notfalls nach Karlsruhe ziehen. Die Krankenhäuser sollen 500 Millionen Euro zum Wohle des Gesundheitswesens einsparen.

Als Abgesandter des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen war Stefan Etgeton bei Anhörung Nummer 1 und Nummer 2 gleichermaßen. Doch Hoffnung auf Veränderungen macht er sich kaum: „Die große Linie der Reform steht fest, vielleicht werden noch Details verändert.“ So lehnten etwa alle Befragten gestern die geplante Malusregelung für Krebskranke ab. Wer an Krebs erkrankt und nicht regelmäßig bei der Vorsorgeuntersuchung war, muss demnach mehr für die Behandlung zuzahlen. Vorbild ist das Bonusheftmodell beim Zahnarzt. Rolf Rosenbrock vom Wissenschaftszentrum Berlin verwies darauf, dass die angeblich positiven Wirkungen dieses Programms bisher nie nachgewiesen wurden. Krebskranke zu bestrafen sei ethisch fragwürdig. „Raus mit der Regel“, forderte er die Vertreter von SPD und Union auf. Die Parlamentarier haben bis 14. 11. Gelegenheit, sich ihre Meinung zu bilden. Die Anhörung wird morgen fortgesetzt. ANNA LEHMANN

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