: Theo Waigel bricht alle Rekorde
Die nächste Haushaltssperre kommt schon Ende Januar, sagt die Opposition. In Brüssel bastelt die Bundesregierung nach dem Euro nun an einer europäischen Steuer- und Sozialunion ■ Von Ulrike Fokken
Berlin (taz) – Die Haushaltspläne der Bundesregierung werden jedes Jahr schneller zu Altpapier. 1996 konnte Finanzminister Theo Waigel seine Finanzjonglage bis zum 15. März durchhalten. Dann kam die Haushaltssperre – immerhin das erste Mal in der BRD-Geschichte, daß eine Ausgabensperre schon im 1. Quartal erging. Dieses Jahr wird Waigel seinen Vorjahresrekord wohl brechen. „Spätestens Ende Januar kommt die Haushaltssperre“, sagte gestern Oswald Metzger, finanzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Am 28. Januar stellt Wirtschaftsminister Günter Rexrodt den Jahreswirtschaftsbericht 1997 vor. Die offizielle Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung also, die auch über Waigels Steuereinnahmen Auskunft gibt.
Die werden mager sein. Schon zwischen Januar und November 1996 hat der Bund 4,5 Prozent weniger Geld eingenommen als im selben Zeitraum des Vorjahres. Dafür sind die Ausgaben um 13,5 Prozent gestiegen, wie die Deutsche Bundesbank gestern mitteilte. Das Defizit belief sich damit in den ersten elf Monaten auf 84 Milliarden Mark. Um das Loch zu stopfen, hat sich der Finanzminister 82,5 Milliarden Mark auf dem Kapitalmarkt besorgt. Erst im Dezember waren Milliarden Steuern in Waigels Kassen eingegangen, so daß die Nettoneuverschuldung für 1996 noch auf 78,3 Milliarden Mark begrenzt werden konnte. Das sind 18,4 Milliarden Mark mehr als ursprünglich geplant. Über eine Ausgabensperre „ist noch keine Entscheidung getroffen“, sagte eine Sprecherin des Finanzministeriums gestern. Aber die Überlegungen dazu sind im Gange, wie Waigels Staatsekretärin Ingrid Karwatzki dem Haushaltsausschuß des Bundestages gestehen mußte. Doch selbst wenn eine Haushaltssperre in den nächsten zwei Wochen erlassen wird, rettet sie den desolaten Haushalt der Bundesregierung nicht. Die Sperre 1996 brachte Einsparungen von nur 4,4 Milliarden Mark.
Waigel setzt auf wachsende Exporte der deutschen Industrie. Zu spürbar höheren Steuereinnahmen wird das jedoch nicht führen. Sobald die Waren die deutschen Grenzen passieren, wird die auf sie anfallende Umsatzsteuer zurückerstattet. Weil die erwarteten 4,5 Millionen Arbeitslosen weniger Steuern einzahlen und mehr Geld kosten, und das Wirtschaftswachstum bei 1,5 Prozent dümpeln wird, rechnet Metzger nicht damit, daß Waigel mit der dieses Jahr geplanten Neuverschuldung von 53,3 Milliarden Mark auskommt.
Hat Deutschland schon 1996 die Maastricht-Kriterien verfehlt, bastelt die Bundesregierung in Brüssel dennoch an Plänen für die Zeit nach der Währungsunion. Zusammen mit Frankreich würden Vertreter der Bundesregierung Pläne für eine gemeinsame Steuer- und Sozialunion der mächtigsten EU- Staaten ausarbeiten. Das meldete die britische Zeitung The Independent gestern. Die Einkommenssteuer der Länder soll in einen Pool fließen, aus dem Ausgaben der Staaten beglichen werden.
Da unter der wachsenden Steuerflucht, durch die nicht zuletzt Theo Waigel jährlich Milliarden flöten gehen, die Steuersysteme der EU-Staaten ausgehöhlt werden, wären derartige Harmonisierungen durchaus sinnvoll. „Das ist allerdings ein Jahrhundertprojekt mit enormer politischer Sprengkraft“, sagte gestern ein Währungsexperte des EU-Parlaments.
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