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„Dann werden wir einfach alle Friseur“

Auf den Straßen des Ruhrgebiets protestieren heute die Steinkohlekumpel gegen den Abbau von Subventionen. 1.400 Meter tiefer plant Uwe Witt schon seine Würstchenbude vor dem Arbeitsamt  ■ Von Constanze von Bullion

Das Ungetüm heißt „Hobel“. Ein riesiger, rostiger Metallklotz, der ungeduldig an der Kette zerrt. Der seine messerscharfen Meißelzähne bleckt. Sich festbeißt in der Wand. Und Fetzen schwarzer Kohle herausreißt. Peter Wegstroth hat das gierige Vieh im Griff. Jagt es rauf und runter im Flöz. Unter Fontänen von Wasser, die den Staub unter sich begraben. Unter ohrenbetäubendem Krach. Und hinter Schwaden von glutheißem Dampf. „Ich liebe das ganze Mistzeug hier“, sagt der Bergmann mit dem Seehundschnäuzer und schiebt sich eine Prise Schnupftabak in die Nase. „Das ist eben mein Problem.“

Peter Wegstroth ist Maschinenschlosser. Und das ganze Mistzeug liegt 1.400 Meter unter der Erdoberfläche. In Bergkamen, am Nordostrand vom Revier. „Haus Aden“ heißt die Zeche, wo Tag und Nacht rund 3.600 Kumpels einfahren. Um „Kohle zu schicken“. Tonnenweise Steinkohle. Fragt sich bloß, wer die haben will.

280 Mark kostet eine Tonne von dem schwarzen Zeug bei der RAG, der Ruhrkohle AG. Das ist dreimal soviel wie bei australischen und US-amerikanischen Importeuren. Damit sich die deutsche Steinkohle halten kann, zahlen Bund und Länder kräftig drauf: zehn Milliarden waren es letztes Jahr. Bis 2005 will der Kanzler die Subventionen halbieren. Ob es dann nur noch 2,5 Milliarden gibt, wird derzeit in Bonn diskutiert.

Und beim heutigen Aktionstag im Ruhrgebiet. Denn daß jeder zweite der 90.000 bundesdeutschen Steinkohlekumpel bis 2005 raus muß aus dem Berg, hat die Gewerkschaft geschluckt. Daß es dabei bleibt, glaubt keiner in „Haus Aden“.

„Meine Söhne werden hier nicht mehr anfangen, das hat keine Perspektive“, sagt Maschinenschlosser Peter Wegstroth. „Aber wenn ich jetzt umschule, bin ich mit 41 Bürokaufmann.“ Arbeiten in Schlips und Kragen? Kommt nicht in Frage. Lieber Aufstehen um vier. Zur Frühschicht anfahren um fünf. „Glück auf!“ rufen und in die Einheitsmontur steigen.

Von der Unterhose bis zum Gürtel hat hier jeder das gleiche an. Drei bis vier Kilo wiegt die Ausrüstung, in der die Kumpel von „Haus Aden“ zum „Viktoriafeld“ fahren. Vor dem Eingang von „Kurl 3“, einem Schacht mit angerostetem Förderturm, tankt die Frühschicht nochmal auf: Tee aus dem Automaten, die Stulle steckt in der Jackentasche.

Wieder „Glück auf!“. Die teerverkrustete Gittertür wird aufgerissen. Dicht an dicht schachteln die Männer sich in den Förderkorb. Dann sackt das Ding ab. In über tausend Meter Tiefe. Zugig ist es hier und finster. Nur die Lämpchen an den Helmen werfen scharfe Schlagschatten über die Gesichter. Bis der Korb plötzlich bremst. Schon wieder „Glück auf!“ Im Neonlicht, zwischen Kabelbündeln und dicken Rohren, an denen gelbliche Zapfen hängen, schlurfen die Jungs zum Sessellift.

„Teamarbeit“ steht auf dem Schild, wo eine weiße Hand eine schwarze schüttelt. 15 bis 20 Männer arbeiten in einer Gewinnschicht, ganz unten also im Bergwerk. Durchschnittsalter 33, jeder dritte ist ein Türke. „Zusammenhalten ist ganz wichtig“, sagt Peter Wegstroth. Und erklärt, was einen echten Kumpel ausmacht: „Kraft. Eiserner Willen, 'ne große Schnauze, ein dickes Fell.“

Und hitzefest muß er sein. Es wird schwül und mit jedem Meter wärmer. Beim Förderband schreibt einer Kreidezahlen auf die Wetterkarte. „Man riecht es nicht“, erklärt Hydrauliker Herrmann Baumann. Er meint Kohlendioxyd und Methangas, das beim Kohleabbau frei wird. „Die Wetter“, heißt das. Müde Wetter gibt es und alte, matte oder schlagende. Ein kleines Meßgerät ist für die gefährlichen Lüftchen zuständig. Ganz sicher sind die Kumpels trotzdem nie. „Vor fünf Jahren hat's hier geknallt“, erzählt Baumann, „da waren sechs Kollegen tot.“ Angst? Kein Thema unter Tage. Eher das „Nonplusultra der Sicherheit“. Gleich hinter den riesigen Ventilatoren, die eisige Luft ausspucken, gähnt ein Krater: das Flöz. „Heiß, laut, dreckig“, sagt Peter Wegstroth, „ich will trotzdem nicht raus aus dem Streb.“ Dann läßt er den Hobel in die Tiefe tosen. Ein Steiger zeigt auf die schwarze Wand, die jäh abfällt neben dem Antriebsmotor: „Da hängt die Kohle und lacht.“

Klettern muß man ab jetzt. Sich an geknoteten Stricken hinunterhangeln durch den engen Stahltunnel. Vorbei an hydraulischen Stahlstützen, die die verschraubte Schilderkonstruktion Zentimeter für Zentimeter durch den Fels schieben. Da, wo es am niedrigsten ist, wo der Kopf bei jedem Schritt anstößt, wo die Maschinen in den Ohren dröhnen und der Staub in den Augen brennt, sitzt Uwe Witt und schraubt an einem Ventil.

17 Jahre ist der Hydrauliker unter Tage. Und ist es gerne. „Weil ich jeden Tag was anderes zu fummeln habe.“ Und weil es schon immer so war. „Mein Vatter war Bergmann und mein Oppa auch“, erzählt der 34jährige mit dem rotblonden Meckischnitt, „und jetzt soll der Deckel drauf hier?“ Daß es „nicht rosig“ aussieht, weiß er. Was werden soll, weiß er nicht.

Auch er hat schon einen Brief vom Betriebsrat bekommen. Betrifft: Fortbildung. „Ein ganzes Jahr lang habe ich mir den Kopf zerbrochen. Aber eine Umschulung, das ist doch für'n Arsch.“ Uwe Witt hat abgelehnt. „Wenn die Zeche dichtmacht, bau' ich mir 'ne Würstchenbude beim Herrn Jagoda auf. Da treff ich wenigstens die Kollegen.“

Jeder hier unten kennt die Argumente, die gegen die Kohle sprechen. Die Tatsache, daß die Kumpel im Ruhrgebiet immer tiefer buddeln müssen. Daß die Bergwerke nach Norden wandern, um neue Vorkommen zu erschließen. Daß „Umweltschützer seit Jahren mobil machen“ gegen die Ruhrkohle AG. Und daß über dem Schacht, in dem Witt und Wegstroth arbeiten, die Landschaft zusammenfällt.

„An der tiefsten Stelle hat sich der Boden um 13 Meter gesenkt“, weiß Wolfram Fingado. „Der Kanal, die Straßen, die Bahnlinie sind betroffen. Da hat auch die Bevölkerung kein Verständnis mehr.“ Der 45jähre ist im Bergbau, seit er 14 ist. Seinen weißen Steigerhelm hat er inzwischen gegen einen Schreibtisch über Tage getauscht. Jetzt ist er Betriebsrat. Muß kämpfen für die Kumpels unten, obwohl er „auch nicht weiß, ob das ganze Gebilde zu halten ist“.

Dabei gäbe es noch einiges zu holen. Von „30 Millionen Tonnen gewinnbarer Vorräte“ im „Viktoriafeld“ spricht Fingado. Daß sie nicht gefördert werden, sei „eine Schande“. Als würde man gutes Essen wegwerfen. Das „Viktoriafeld“ wird aufgegeben. Weil für jede Tonne Kohle 40 Mark Strafe für Umweltschäden gezahlt werden. Und weil Anwohner die Zeche mit Klagen überziehen.

„Der Graf“, heißt er nur. „So 'n Vogel“, meint Hydrauliker Witt, „mit dem habe ich gar kein Mitleid.“ Graf Kanitz besitzt Wälder im Naturschutzgebiet bei „Haus Aden“. Und sieht nicht ein, daß sein Schloß samt Kirche im Boden versackt. Bis vor das Verfassungsgericht ist er marschiert. Und hat Unterstützer gefunden. Gegen einen neuen Schacht nördlich von „Haus Aden“ lief jahrelang eine Bürgerinitiative Sturm. Ohne Erfolg, das Ding wurde gebaut. Jetzt klagen die Naturschützer wieder. Weil jede weitere Nordwanderung das Grundwasser und die Wälder im Münsterland gefährdet.

1.400 Meter tiefer sieht man die Sache anders. „Wir machen doch auch Umweltschutz hier“, sagt Elektriker Wolfgang Haller. Er steht im Flöz neben der Panzerkette und schnitzelt an einem armdicken Kupferkabel herum. „Ich sortiere hier unten meinen Müll. Wir verkippen kein Öl. Und sammeln sogar alte Neonröhren und tragen die raus.“ Ökologie, schön und gut: „Atomstrom, da bin ich auch gegen“, sagt er. „Weil ein AKW immer eine Gefahr ist.“ Daß auch Kohle nicht zu den Energiequellen von morgen zählt, hört man hier nicht gern.

Aber weiß es längst. Als Schmarotzer der Nation will Haller sich deshalb nicht hinstellen lassen. „Der Job, den ich hier mache, ist viel mehr wert als mein Einkommen“, sagt der 38jährige, der seit 24 Jahren im Schacht arbeitet. „Ein normaler Facharbeiter bekommt fast doppelt soviel wie ich.“ Zu Hause wartet eine Frau, ein fünfjähriger Sohn, ein Hund auf ihn. „Es ist nicht mehr wie früher“, erzählt er. „Eigentlich wäre ein neues Auto fällig, ein Kinderzimmer auch. Aber wir kriegen keines. Und wenn der Kurze mal Schuhe braucht, ist mit 80 Mark auch nichts drin.“

„Seit 1990 gab es im Bergbau keine reale Lohnsteigerung“, schimpft Wolfgang Junge. Auch er ist im Betriebsrat und geht für die Subventionen auf die Straße. „Der Energiebedarf wird steigen, wir brauchen die Kohle“, verkündet die Gewerkschaft unbeirrt. Und bläst hinter den Kulissen zum Rückzug. Struktureller Umbau der Region, heißt längst das Zauberwort im Pott. Es gibt keine Partei, die es sich nicht auf die Fahnen geschrieben hat. „Ja, ja“, sagt Junge, „Dienstleistung soll her. Dann werden wir einfach alle Friseur und schnippeln uns gegenseitig die Haare.“

Vor dem großen „Hauen und Stechen“ graust es den Betriebsräten. „Sozialverträglich“ soll hier entlassen werden. Wie das funktioniert, weiß keiner genau. „Wenn das mal losgeht, dann müssen wir vielleicht dem deutschen Kollegen sagen, daß er gehen muß, weil der türkische Kollege mehr Kinder hat. Da steckt unheimlich viel Zündstoff drin.“

Unten im Schacht ist man froh, kilometerweit weg von solchen Entscheidungen zu sein. Vorerst. Vielleicht, meint Elektriker Haller vorsichtig, gibt's ja auch oben einen Job für ihn. Irgendwann. „Aber freiwillig gehe ich hier nicht raus“, meint er eilig und hakt sein Werkzeug an den Gürtel, „ich mag einfach das Klima hier. Weil's auch mal was zum Lachen gibt.“

Nochmal „Glück auf!“ Die Ablösung ist da. Ein kalter Wind pfeift den Kumpels von der Frühschicht in die schwarzen Gesichter, als sie sich zwischen die Kohlenbrocken aufs Förderband setzen. Durch steile Schächte und zugige Schleusen fahren sie nach Hause. Immer bergauf. Gegen die Wetter.

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