: Männer und Herren im Dreivierteltakt
Sportstadt Berlin (Teil 7): Lesben und Schwule treiben auch Sport – freilich ohne Leistungsdruck, sondern aus Spaß. Mancher Club spielt dennoch in der Normalo-Liga mit ■ Von Christine Berger
Haben die Männer das Gefühl, daß die Herren gut führen?“ Es gibt Sportarten, da stellen Übungsleiter mitunter merkwürdige Fragen. Wäre statt „Männer“ „Damen“ gefallen, hätte sich wohl niemand gewundert. Auch für das Dutzend Herren und Männer, das sich jeden Mittwochabend im Nachbarschaftshaus in der Urbanstraße trifft, hat die Frage nach der guten Führung mittlerweile an Exotik verloren. Drei Kurse Standardtanz haben sie hinter sich, Mann mit Herr, Herr mit Mann.
„Die Männer sind bei uns die Damen“, klärt Tanzlehrer Eckhard Bohr auf. Und die „echten“ Männer sind die Herren. Seit acht Jahren unterrichtet Bohr nun schon Schwule und Heteros im Walzer und Chacha. Auf den ersten Blick wirken die Männer-Herrenpaare ungewöhnlich. Auf den zweiten achtet man bereits auf Professionalität und Rhythmik von Axel, Uwe, Andreas und so weiter.
„Anfangs gab es viele Vorurteile, auch in den eigenen Reihen“, resümiert Bohr die Jahre mit dem gleichgeschlechtlichen Partnertanz. „Manche sagen, das sieht ja furchtbar aus, wenn ein Mann mit einem Mann ,tanzt‘“. Solche Kandidaten lädt der 43jährige Angestellte mit Vorliebe ein. Damit sie sich vom Gegenteil überzeugen können. Und in der Tat: So liebevoll, wie sich die Paare über das quietschende Parkett schieben, im Hintergrund die säuselnden Harmonien von Hugo Strasser, bleibt einem der kritische Vergleich mit Hetero-Pärchen im Halse stecken.
Und so haben die Teilnehmer beim Männerkurs genau die gleichen Beweggründe, tanzen zu lernen wie ihre heterosexuellen Zeitgenossen. Spaß mache es in erster Linie, ist die einhellige Meinung. Und „eine wunderbare Gelegenheit, jemand kennenzulernen“, so Joachim, der Biochemiker. Daß man sich kennenlernt, dafür sorgt der Tanzlehrer: Er verordnet alle paar Tänze den Partnerwechsel.
Höhepunkt des Homo-Tanzfiebers ist der alljährliche Männerball im April. Dann schieben sich besserangezogene Männlein und Herrlein zu Hunderten über das Parkett des ehemaligen Offizierskasinos. Für Bälle ist das Kreuzberger Nachbarschaftsheim wie geschaffen. Der herrschaftliche Saal läßt genügend Platz für die Combo. Eine Terrasse sorgt für Frischluft zwischen ChaCha, Samba und Walzer.
Daß der eine oder andere über seine geputzten Schuhe stolpert, stört die Tänzer wenig. Statt Leistung stehe die Freude am Tanzen im Vordergrund, weshalb sich die Leiter von mittlerweile drei vollen Kursen strikt dem Leistungsprinzip verweigern. „Wir wollen möglichst viele Männer zum Tanzen bringen, das ist alles“, formuliert Bohr sein Ziel. Und das gilt nicht nur für den Tanzsport. Vereine wie der schwule Sportclub Vorspiel e.V. oder der lesbische Seitenwechsel e.V. bieten Bewegung für jede Leistungsstufe.
Daß Vereine keine Spießerhochburgen sein müssen, hat sich in der Szene herumgesprochen. 676 Mitglieder haben die Vorspieler. Bei Seitenwechsel stehen 330 Sportler in der Vereinskladde. Das Angebot ist vielfältig: Handball, Inline-Skating und 16 weitere Sportarten bietet Vorspiel an. Sogar Cheerleading wird mit vollem Ernst praktiziert, und das wider alle Klischees. Keine Tunten wedeln da mit Pompons, sondern Akrobaten im Gymnastikanzug. „Mehr Mitglieder können wir derzeit kaum aufnehmen“, bedauert Wilfried Grau vom Vorspiel-Vorstand. Wie für viele andere Sportklubs auch, ist der Platz, die Sportstätte das Problem. Die Turnhallen der Stadt sind hart umkämpft. Auch schwule Sportler müssen ihre Trainingszeiten Jahr für Jahr verbissen verteidigen.
Lesben sind eindeutig die besseren Kicker
Von Diskriminierung, meint Wilfried Grau, könne aber nicht die Rede sein. „Wir sind mittlerweile auch in vielen Sportverbänden Mitglied, und bei Stadtteilfesten werden wir eingeladen“. Für Grau, den Vorsitzer der Vorspieler, der beste Beweis, daß ein schwuler Sportverein mittlerweile kein großes Aufsehen mehr erregt. Daß dies nicht immer so war, hat der Verein nicht zuletzt seinem Namen zu verdanken. Vorspiel – davon hielten viele traditionelle Verbandsfunktionäre offenbar weder im Bett noch im Vereinsregister etwas. Anrüchig quasi, sexuell belegt. Um Mitglied im Leichtathletikverband zu werden, mußte deshalb ein zweiter Verein gegründet werden, der „nur“ „Schwuler Sportverein“ heißt.
Daß bei Vorspiel auch ein paar Frauen und Heteros mitspielen, heißt nicht, daß sich der Klub nicht mehr als vorzugsweise schwul versteht. Eine Öffnung ist aber dennoch zu verzeichnen. „Schwule und Lesben haben sich beim Sport in den letzten Jahren immer mehr zusammengetan“, bestätigt Conny Schälecke, Mitgründerin von Seitenwechsel. Festivitäten wie die Euro-Games im vergangenen Jahr in Berlin zeugen von einer gemeinsamen Bereitschaft, publikumswirksame Wettkämpfe zu initiieren.
Besonders die Euro-Games, ein Sportevent mit über 3.000 TeilnehmerInnen aus 19 Ländern, brachte dem Schwulen- und Lesbensport im vergangenen Sommer jede Menge Schlagzeilen. In 17 Sportarten maßen die TeilnehmerInnen ihre Kräfte. Auflagen für eine Teilnahme gab es keine, jeder durfte mitmachen, so das Startgeld bezahlt war.
Wieviel den Homosexuellen Sport und Spaß wert sind, zeigt sich an der ehrenamtlichen Energie, die bei den Euro-Games gezeigt wurde: Rund 600 Helferinnen kümmerten sich drei Tage lang um das Sportfest und bekamen dafür keinen Pfennig. Von soviel uneigennützigem Engagement können die Initiatoren heterosexueller Turniere nur träumen.
Bei den schwul-lesbischen Fußballweltmeisterschaften 1995 wurde in Berlin auch für Außenseiter offensichtlich, was für die Szene schon lange Fakt ist: Lesben sind die besseren Kicker. Die Fußballfrauen von „Hopelessley Devoted“ heimsten 1994 bei den Weltmeisterschaften in New York sogar eine Goldmedaille ein.
Lesbenteams wie die hoffnungslos Hingebungsvollen finden sich vor allem zu typisch schwul-lesbischen Meisterschaften zusammen. Ansonsten kicken sie eher in konventionellen Klubs. Daß viele Frauenfußballerinnen lesbisch sind, ist ein offenes Geheimnis. So erschien das Team vom 1. FC Wilmersdorf fast komplett zum Homo-Turnier. Heterosexuelle Mitspielerinnen wurden kurzerhand durch Freundinnen aus dem Bekanntenkreis ersetzt.
Unter schwulen Männern fristet Fußball hingegen eher ein Schattendasein. „Zu brutal, zu dreckig“, begründet ein Insider das Desinteresse. Beliebter sind Sportarten wie Squash oder Volleyball. In letzterer Disziplin spielen allein drei Mannschaften von Vorspiel in der Liga – ein Beweis dafür, daß nicht allen die Leistung völlig egal ist. Auch bei Seitenwechsel spielt ein Basketballteam erfolgreich in der Landesliga. „Beim Tennis verzichten wir bewußt auf das Spiel in der Liga, weil es zu teuer ist“, so Seitenwechselfrau Schädecke. Von der Spielstärke her sei der Aufstieg kein Problem. Die derzeitige Trainerin hat früher selbst in der Bundesliga gespielt.
Meisterpotential gibt es auch bei den kleineren Sportvereinen, etwa beim schwul-lesbischen Schwimmclub Regenbogenforellen e.V. Dort errang eine Schwimmerin neulich den Titel einer Berliner Kurzstreckenmeisterin in ihrer Altersgruppe, und das, obwohl sich die Schwimmerinnen selbst trainieren. Auch „Ping Pong“, ein schwuler Tischtennisverein, und der schwul-lesbische Bowling- Klub „Pin Up's“ haben nichts gegen Pokale und Ehrungen – solange es Spaß macht.
Gemeinsam schwitzen und hinterher ein Bierchen trinken gehen – das ist aber auch beim Gros der Schwulen und Lesben die hauptsächliche Motivation, ins Turnerdress zu schlüpfen. Daß dies auch gemeinsam geht, beweist nicht zuletzt der sonntägliche Tanztee im SO 36. Zu sanften Standardklängen halten sich gleich und gleich im Arm. Mauerblümchen werden sofort abgeschleppt. „Auf diese Weise verarbeite ich mein Tanzschultrauma“, sagt einer und legt seinen Kopf an die Schulter seines Herrn. Ein Lesbenpärchen, das gerade vorüberwalzert, nickt zustimmend.
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