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Go for gold!

Zum 150. Geburtstag seines ersten Nuggets besinnt sich Kalifornien auf die Geschichte. Pilgerströme machten sich auf, das Glück im Westen zu suchen  ■ Von Rainer Stamm

Vor 150 Jahren löste der Zimmermann James Marshall die größte Völkerwanderung der Neuzeit aus. Am 24. Januar 1848 durchstreifte er den Wasserlauf einer Mühle am American River, die zu dem immensen Anwesen John Augustus Sutters gehörte, dort, wo heute die kalifornische Hauptstadt Sacramento ist.

Henry Bigler, mormonischer Geistlicher und Angestellter auf Fort Sutter, schrieb in antiquiertem Englisch an diesem Tag in sein Tagebuch: „This day some kind of mettle was found in the tail race that looks like goald.“ Es war Gold; und es lag in den Flüssen, eine Sensation, die nicht länger verborgen bleiben konnte. Zwei Monate später stand es in den Zeitungen, und ein nahezu unaufhörlicher Strom an Glücksrittern begann sich auf den Weg nach Kalifornien zu machen. Kein Wunder also, daß sich der US-Bundesstaat derzeit auf seine abenteuerliche Vergangenheit besinnt. Das beim Publikum beliebte Oakland Museum of California widmete dem Thema gleich drei Ausstellungen.

Die zentrale Schau „Gold Fever!“ erinnert dabei nicht nur an die Entdeckung des Ur-Nuggets durch James Marshall, sondern auch an die Vorgeschichte eines agrarisch geprägten Landes, das zunächst durch Indianer, Missionare und „Californios“ besiedelt war. Doch nachdem der legendäre Fund an Sutters Mühle publik wurde, änderte sich hier alles. Heerscharen brachen auf in den goldenen Westen; am anderen Ende der Welt begaben sich Glücksuchende auf die Reise in ein Land, von dem sie kaum wußten, wo auf dem Globus es zu finden war. Pilgerströme machten sich auf, den amerikanischen Kontinent zu umschiffen oder den gefährlichen Weg durch das Inland anzutreten.

Für Kalifornien und die Bay Area ist dies weit mehr als eine Abenteuergeschichte, wie wir sie aus Jugendbüchern kennen. Es ist die Gründungsgeschichte eines Landes und eines Mythos. Besonders auf das krisengeschüttelte Europa der Revolutionsjahre 1848/49 mußten die Berichte aus dem Lande, wo das Gold mit Händen eingesammelt werden konnte, wirken wie paradiesische Versprechungen aus dem Gelobten Land. Hunderttausende machten sich auf den Weg; ein endloser Strom von Frustrierten, die sich eine bessere Zukunft erhoffen, die Briefe von zu Hause bei sich tragen und versprechen, bald zurückzukommen.

„Eine Menschenmenge strömt herbei. Erst kommen sie aus Neuyork und den andern amerikanischen Häfen der atlantischen Küste, dann auch aus dem Hinterland und Middle-West. Eine endlose Menschenwanderung. (...) Wer will Gold?“ – Der Schriftsteller Blaise Cendrars hat die „Fabelhafte Geschichte des Generals Joh. August Sutter“ 1924 in expressive Worte gefaßt, kongenial übersetzt von Yvan Goll. Denn was anderen den Reichtum brachte, brachte August Sutter, auf dessen Grund das Gold gefunden wurde, den Ruin. In der allgemeinen Euphorie des Rausches fand er keine Arbeiter mehr, die auf seinen Ländereien arbeiten wollten; ihm verfaulte das Getreide auf den Feldern.

Der unerhoffte Glanz des Goldes ergoß sich über das Land. In Kalifornien erinnert man sich daher auch der Janusköpfigkeit der Entdeckung; an die Nebenwirkungen des Goldrauschs, die durch Kriminalität, Kartelle und jenen Tertiärsektor, der von Spiel, Unterhaltung und Prostitution lebte, gekennzeichnet sind.

Originale Bilder aus dieser Zeit haben sich als stimmungsvolle Dokumente in den frühen Daguerreotypien aus dem Wilden Westen erhalten; denn die erfolgreichen Fourty-Niner verewigten ihren Stolz gerne auf der silberglänzenden Platte. Die Fotografie in ihrer frühesten Form, der Daguerreotypie, feierte ihren Durchbruch in eben jenen rauschhaften Jahren, und so wurde das neue Medium zum vorzüglichen Mittel, das schnelle Glück und den unverhofften Reichtum für alle Zeiten im Bilde zu bannen, „denn alles Glück will Ewigkeit“: Mit Schaufeln und Säcken voller Gold posieren erfolgreiche Pioniere für die Daheimgebliebenen. Im geheimnisvollen Schimmer der glänzenden Metallplatten hat sich ihr Bild und ihr Stolz bis heute bewahrt.

So wie die ersten Fotografen Amerikas von dem Wohlstand und Stolz der Erfolgreichen profitierten, bildete sich schnell in allen Bereichen der Wunsch nach den Erzeugnissen der „Hochkultur“ heraus. Daher stehen auch die Gemälde von teilweise zweifelhafter Qualität, die den Stolz der erfolgreichen Goldwäscher für alle Zeiten bannen sollten, für das Bedürfnis, den Wilden Westen – nach europäischem Vorbild – zu kultivieren. Zugleich erinnern diese Produkte daran, daß das schnelle Glück, in den Flüssen Gold zu finden, genauso schnell sein Ende fand, wie es begonnen hatte. Das Gold an der Erdoberfläche war durch die Massen an Glückssuchern schnell eingesammelt, und so mußten viele sich resigniert niederlassen, um in ihrer entfernten Profession vom jungen, überquellenden Wohlstand zu profitieren. Bereits kurz nach dem ersten Goldfund war Kalifornien von einer mexikanischen Provinz zum 31. Bundesstaat der Vereinigten Staaten geworden. Der Wilde Westen wurde zum florierenden Handelszentrum. Die Ausstellungen in Oakland erinnern daran, daß das Nugget an Sutters Mühle der Auftakt war für den kalifornischen Traum vom Glück. Und auch wenn das Gold heute nicht mehr in den Flüssen liegt, ist der Mythos vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten kaum verblaßt. In Hollywood und Silicon Valley spielen die folgenden Kapitel einer folgenschweren Legende.

„Gold Rush. California's untold Stories“. Oakland Museum of California

Die Ausstellungen „Gold Fever!“ und „Silver & Gold. Cased Images of the California Gold Rush“ (Katalog 29,95 Dollar) sind noch bis zum 26. Juli 1998 zu sehen

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