: Die Krieger sind zurück
Hamas, Fatah oder irakische Milizen: Terrorgruppen kämpfen immer für den Kampf, nicht um politische Ziele. Warum der Westen die Krieger nicht rationalisieren sollte
VON MICHAEL RUTSCHKY
In Gaza kämpfen sie jetzt gegeneinander, die Hamas und die Fatah. Im Libanon sammelt sich die Hisbollah, Gottes Armee, um die inneren Feinde niederzuringen. Im Irak wollen die Milizen keinen Krieg gegen die US-Invasoren gewinnen, es geht um die Fortsetzung der Kämpfe als solcher. Die Krieger sind wieder da – aus unseren Beständen sind ältere Herrschaften zurück auf der Bühne, Mohnhaupt und Klar.
Krieger, das sind auch die jungen Kerle, die in Eilat oder Madrid oder London oder Köln Bomben in U-Bahnen und Vorortzügen platzieren, um Passagiere zu verletzen und zu töten und das Medienpublikum mit Angst und Schrecken zu versorgen. Gleich umhüllt sie eine Atmosphäre der Begründungen, was die beabsichtigten Mordtaten beabsichtigen, welche Erniedrigten und Beleidigten dieser Erde sie rächen wollen, welchen Kampfauftrag sie sich selbst erteilt haben.
Im Fall der Hamas scheint das glasklar, jeder Zeitungsleser meint es zu wissen: Es geht um die, wie es heißt, von Israel besetzten Gebiete – bloß dass es sich dabei, wenn man genauer hinhört, um den Staat Israel selber handelt. Seinen Bewohnern fehlt jeder historische Anspruch auf das Land; es handelt sich um Einwanderer aus Osteuropa: Der iranische Präsident hat bekanntlich vorgeschlagen, sie dorthin zurückzusiedeln, ein Vorschlag, den der amerikanische Romancier Philip Roth schon in seinem Roman „Operation Shylock“ satirisch-apokalyptisch ausgearbeitet hatte. Gewiss ist es kein irgendwie realistisches Projekt. Ebenso wenig wie die Eroberung Europas durch den Islam, die angeblich die Attentäter in Spanien, Großbritannien und Deutschland betrieben; wie Bomben in U-Bahnen und Vorortzügen uns diesbezüglich gewinnen sollen, haben sie darzulegen erspart. Vermutlich schon für sich gar nicht erwogen.
Denn das muss man sich, wenn es um Krieger geht, immer wieder vor Augen halten: Krieger verfolgen keine Ziele, die man in der Wirklichkeit erreichen oder verfehlen kann. Vor allem sind Krieger komplett desinteressiert an zwei Dingen, von denen der friedliebende Bürger meint, sie gehörten zum Krieg wesentlich hinzu, am Sieg und am Friedensschluss. So etwas kann der Krieger nur als Verrat ansehen. Für ihn endet der Krieg nie – wenn er selbst im Kampf stirbt, setzen ihn die Genossen in die Unendlichkeit fort. Der Krieg ist eine Lebensform, kein Mittel zum Zweck, nationale Expansion, Rache für Demütigungen, die Fortsetzung der Politik, wie die berühmte Formel lautet, mit anderen Mitteln. All das müssen wahre Krieger abweisen als Verrat an der grandiosen Imagination, der Imagination des Grandiosen, die ihnen bei ihren Absichten und Taten vorschwebt.
Lange existierten sie auch noch in unseren Gegenden. Sie waren in den Ersten Weltkrieg mit klarer Siegesabsicht gezogen und konnten unmöglich anerkennen, dass er dem Deutschen Reich verloren ging. So ernannten sie den Krieg einfach zu einem existenziellen Dauerzustand, dem sich der wahre Mann freudig stelle, während der feige, bloß auf seinen Nutzen erpichte Bürger ihn flieht. Der Schriftsteller Ernst Jünger hat lange solchen Ideen angehangen, der Kampf als inneres Erlebnis äußerster Authentizität. Indem er ihn derart verhimmelte, ersparte sich der Krieger die Einsicht in die Niederlage: Es kam ja nur darauf an, weiterhin im Kampf zu bleiben. Der berüchtigte Staatstheoretiker Carl Schmitt erhob Feindschaft, die sich im Krieg oder Bürgerkrieg ausgibt, zum Inbegriff des Politischen.
Wie die parlamentarische Demokratie diesen Bürgerkrieg befriedet, indem sie die Kriegsparteien in politische und dann in Regierung und Opposition umwandelt, konnte er nur mit Verachtung strafen. Das ist doch ekelerregend, dies Gemauschel und Geschacher, „die Herrschaft der Parteien, ihre unsachliche Personalpolitik, die ‚Regierung von Amateuren‘, fortwährende Regierungskrisen, die Zwecklosigkeit und Banalität der Parlamentsreden, das sinkende Niveau der parlamentarischen Umgangsformen, die auflösenden Methoden parlamentarischer Obstruktion, der Mißbrauch parlamentarischer Immunitäten und Privilegien durch eine radikale, den Parlamentarismus selbst verhöhnende Opposition, die würdelose Diätenpraxis, die schlechte Besetzung des Hauses“. (1926) Das ist alles viel zu zivil und deshalb korrupt; wahre politische Bildung, heißt es in der arabischen Philosophie, ist nur in der Wüste zu haben, unter ihren extremen klimatischen und zivilisatorischen Bedingungen: T. E. Lawrence, Lawrence of Arabia, hat es mit seinem Engagement für die arabische Sache dieser Fraktion der europäischen Intelligenzija vorgemacht.
Wohlwollende Beobachter, die den Frieden als Normalzustand avisieren, pflegen die aktuellen Kriegszustände im Nahen Osten daraus zu erklären, dass der Staat Israel halt den Palästinensern ihren eigenen Staat vorenthalte. Man muss aber fragen, ob dem politischen Personal der Palästinenser ernstlich ein solcher Staat vorschwebt. Schon über Jassir Arafat kursierte am Ende die Meinung, er sei halt kein Staatsmann, der einer Nation zu ihrer politischen Form verhelfen wollte, sondern ein – Krieger. Niemand konnte in schweren Niederlagen für die Kamera so schön das Victory-Zeichen zelebrieren wie er. Der Kampf geht weiter.
Die Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik haben die Rückkehr nach Hinterpommern, Ostpreußen, Schlesien immer nur mit Worten beschworen. Die sog. Preußische Treuhand kann lächerliche juristische Prozeduren in die Wege leiten – und die Stimmung zwischen Polen und der Bundesrepublik vergiften. Nach 60 Jahren, so kennt es die Geschichte, haben sich auch große Flüchtlingsgruppen am neuen Lebensort so fest angesiedelt, als weilten sie schon immer dort. Das Recht auf Rückkehr in die alte Heimat – fester Bestandteil palästinensischer Forderungen – existiert bei den Sudetendeutschen, Schlesiern, Ostpreußen, Hinterpommern nur noch als Phantomschmerz.
Die letzte schmerzhafte Erfahrung mit Kriegern machte die Bundesrepublik in den Siebzigerjahren. Die Rote Armee Fraktion, die Baader-Meinhof-Gruppe führte ihren Kampf, der viele Tote kostete, ohne jedes politische Ziel, das hätte erreicht werden können, worauf der Krieg beendet und der Frieden wiederhergestellt wäre. Die RAF stellte keine erkennbaren Forderungen – Freigabe der Insel Norderney für Experimente mit sozialistischem Tourismus, eine eigene Radiostation für ihre Propaganda: absurde Forderungen, klar, aber immerhin umrissene Forderungen. Die RAF wollte nur den bewaffneten Kampf, immerdar. „Wir behaupten, daß die Organisierung von bewaffneten Widerstandsgruppen zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik und Westberlin richtig ist, möglich ist, gerechtfertigt ist. Daß es richtig, möglich und gerechtfertigt ist, hier und jetzt Stadtguerilla zu machen. Daß der bewaffnete Kampf als ‚die höchste Form des Marxismus-Leninismus‘ (Mao) jetzt begonnen werden kann und muß, daß es ohne dem (sic) keinen antiimperialistischen Kampf in den Metropolen gibt.“ (1971)
Ich will nicht zu viel daraus machen, aber die Trainingsaufenthalte der RAF bei den Palästinensern legen doch den Gedanken nahe, dass hier westeuropäische Intellektuelle noch mal den Weg von T. E. Lawrence, den Weg des Wüstenkriegers, beschreiten wollten. Denn für die Metropolen kommt die elementarste Drohung aus der Wüste. Was droht, das ist die große Reinigung, die das Gemauschel und Geschacher schlagartig wegbrennen wird. Fragen Sie nicht genauer, was das heißt – die RAF-Krieger wussten es genau. Die Welt, so wie sie ist, muss untergehen, damit eine ganz andere Welt möglich wird. In seinem neuen Roman „Terrorist“ unternimmt John Updike große Anstrengungen, uns aus der Innenansicht eine Vorstellung davon zu vermitteln – das kann halt diese Literatur wie niemand anderes, „taking the role of the other“, gerade wenn es um Feinde geht.
Mit Kriegern Friedensverhandlungen zu führen, ist unmöglich. Sie erklären jeden Kompromiss zu einem großen Sieg ihrerseits, der auf den endgültigen Sieg im Krieg der Welten vorausdeutet. Verhandeln, gar über Kapitulation und Aufgeben verhandeln – und das mit einem Gegenüber, das nicht aus der Wüste und ihren heroischen Kämpfen mit Sonne und Hitze und den anderen Kriegern, sondern als Regierungschef aus Wahlen hervorgegangen ist –, das will der Krieger auf keinen Fall. Den Regierungschef trifft die ganze Verachtung dessen, der aus dem Feuer kommt – dass der den Krieger bloß für einen Verbrecher hält, war einem Baader unvorstellbar.
Lehrreich ist die Erinnerung an die RAF, weil sie nachdrücklich vor den vernünftigen Erklärungen warnt, die unsereiner so rasch für die Krieger der Hamas und der Hisbollah und der irakischen Milizen, die Bombenleger und Selbstmordattentäter anzuerkennen bereit ist. Diese Art Terror verdankt sich einem acte gratuit, einer Handlung ohne Motiv und Kontext. Keine ökonomische Krise, keine moralische Panik, keine historische Demütigung größten Ausmaßes, kein kollektives Verbrechen machte in den Siebzigerjahren die Attacken der RAF plausibel – umgekehrt: Alle Versuche der Plausibilisierung wirkten ohnmächtig und lächerlich, endeten in einem hilflosen Rätselraten.
Die Bundesrepublik hatte ihre ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler und erlebte ökonomische Prosperität; die Kulturrevolution wälzte autoritäre Verhaltensstandards um in Richtung der Moderne. Für kein einziges Bevölkerungssegment sprachen Baader-Meinhof als Advokaten. Und deshalb sollten wir mal aufhören, die Krieger im Nahen Osten (bis hinunter zu den Kofferbombern hierzulande) als solche Advokaten anzuerkennen, die den Westen an die Beleidigung des Islam durch die Kreuzzüge, den Kolonialismus, den Staat Israel auf dem Gelände der Gläubigen – you name it – gemahnen. Da hätte man auch gleich die RAF als Rächer für die Ölkrise, die den deutschen Arbeiter an manchen Sonntagen am Autofahren hinderte, legitimieren können. Die Krieger brauchen keine Rechtfertigungen für ihr Handeln; sie sind mitten im Krieg.
Der Krieg der RAF freilich ist vorbei. Das Vergehen von Jahrzehnten, das unwiderstehliche Altern der Kämpfer, die unbezweifelbare Übermacht des Gegners haben ihn beendet. Die Sinnlosigkeit des Kriegerdaseins hörte irgendwann auf, als existenzielles Stimulans befeuernd zu wirken; das Jugendirreseins, das absurde Vorsätze besonders schön malt, verfliegt. Verzweiflung und Schuld belagern die Eingeschlossenen und finden Gelegenheit, sie gründlich anzufressen. Ich bin der Meinung, dass Brigitte Mohnhaupt auf Bewährung entlassen und Christian Klar begnadigt werden soll.
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