Berlin atmet auf

Gesundheitssenatorin Lompscher rudert beim Schutz von Nichtrauchern zurück – einen Berliner Alleingang soll es zunächst nicht geben. Dabei ist die Stadt längst reif für rauchfrei. Beispiele aus dem Alltag

Taxifahrer fahren auf nichtrauchende Gäste ab

Die Nachfrage nach Nichtrauchertaxen sei sehr groß, sagt Uwe Gawehn, der 2. Vorsitzende der Innung des Berliner Taxigewerbes und selbst Droschkenkutscher. Er schätzt, dass bereits 70 Prozent aller Wagen Nichtrauchertaxen sind. Nichtrauchende Fahrgäste, die in ein Rauchertaxi einstiegen, hätten zudem das Recht, wieder auszusteigen. Gawehn geht davon aus, dass dies die Hälfte der Kunden tun. Der Aschenbechergeruch in Rauchertaxen würde auch eher von rauchenden KollegInnen verursacht. Gawehn käme es zupass, wenn der Nichtraucherschutz auf Taxis ausgeweitet würde. „Natürlich liegt mir dabei die Gesundheit der Kollegen am Herzen. Aber es gibt auch eine praktischen Grund: Nichtrauchertaxen sind sauberer.“ WS

Hotels lüften gründlich durch

Haben Sie in letzter Zeit in einem Raucherhotelzimmer genächtigt? Diesen leicht beißende Geruch von kalten Zigaretten erlebt, der in den Vorhängen hängt und auch keinen Halt vor dem Bettbezug macht? Nicht? Dann liegen sie voll im Trend. Denn Raucherzimmer gibt es tatsächlich immer weniger. „Wir vermitteln größtenteils nur noch Nichtraucherzimmer“, bestätigte eine Sprecherin des Park Inn Hotels. Seit dem Umbau des Hochhauses am Alex vor einem Jahr gebe es zwar neben 642 Nichtraucher- noch 370 Raucherzimmer. Letztere würden aber kaum mehr gebucht. Die erfolgte Reduzierung ist nicht in weiser Voraussicht auf eventuelle Gesetzesverschärfungen erfolgt, so die Sprecherin, sondern nur aus marktwirtschaftlichen Gründen. FLEE

Restaurantgäste pfeifen auf geräucherte Speisen

Neulich in einem Lokal in der Kreuzberger Körtestraße. Zwei kanadische Teenager rümpfen angeekelt die Nase. Noch ehe das Essen serviert ist, wollen sie das Restaurant wieder verlassen. Sie befürchten Vergiftungsgefahr. Denn am Tisch nebenan wird geraucht. In Kanada ist Rauchen in Gaststätten schon lange verpönt. Diese Abneigung verbreitet sich auch in Berlin immer mehr. Laut Hotel- und Gaststättenverband haben sich die Rauchergewohnheiten in den vergangenen drei, vier Jahren rapide verändert. „Es wird definitiv weniger geraucht“, sagt Verbandsvizepräsident Klaus-Dieter Richter. Er spricht sich dennoch gegen ein Rauchverbot in Gaststätten aus: „Warum so viel reglementieren, wenn ohnehin kaum einer mehr beim Essen raucht?“ Obiges Beispiel liefert einen Grund. FLEE

Nichtraucher schützen ihren Arbeitsplatz

Auch am Arbeitsplatz befinden sich die Raucher auf dem Rückzug. Immerhin ist gesetzlich geregelt, dass der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen ergreifen muss, um Nichtraucher zu schützen. In vielen Branchen sei Rauchen ohnehin out, sagt Christine Sonnenberg vom Landesamt für Arbeitsschutz. „Wenn der Chef sagt, hier gibt es nur Raucher, wird es aber problematisch.“ Denn oft trauten sich Nichtraucher in solchen Fällen nicht, ihre Rechte durchzusetzen. In der Arbeitsschutzbehörde lande deswegen eine Reihe von anonymen Beschwerden. Sie kann diesen Hinweisen nachgehen; im konkreten Fall muss sich aber immer wenigstens ein Nichtraucher finden, der auf einen rauchfreien Arbeitsplatz besteht. rot

Frische Luft in gebrauchten Autos

Beim Kauf eines gebrauchten Autos achten Nichtraucher verstärkt darauf, einen Nichtraucherwagen zu kaufen – sie wollen nicht in einem Aschenbecher durch die Gegend fahren. „Ist der Kunde ein Nichtraucher, wird es sehr problematisch, ein Raucherfahrzeug zu verkaufen“, sagt Nafiz Yeter, Chef des Weddinger „Auto Salons Prinz“. Dieses Phänomen habe es zwar schon immer gegeben, allerdings achteten immer mehr Kunden darauf. „Für meine Familie würde ich auch kein Raucherauto kaufen“, so Yeter. rot

Nikotingelbe Wohnungen sind Ladenhüter

Die Nachfrage nach nichtrauchenden MitbewohnerInnen steigt. Angestellte von Mitwohnzentralen bestätigen dies. „Besonders wenn Zimmer in Wohnungen vermietet werden, wird viel Wert aufs Nichtrauchen gelegt“, meint Vivien Copertino von der Agentur Home Company. Wilhelm Eisenbach, Geschäftsführer der City Mitwohnzentrale, formuliert es unentschlossener: „Nichtrauchen ist keine harte Bedingung“, sagt er. Die Suchfunktion seiner Webseite widerlegt ihn. Bei 124 Wohnungen, die er im Angebot hat, ist Rauchen erlaubt, bei 150 nicht. Eisenbach ist selbst Raucher. Er bestätigt, dass die Sicht auf das Thema deswegen wohl biografisch gefärbt ist. WS

BVG freut sich über saubere U-Bahnhöfe

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben sehr gute Erfahrungen mit dem Rauchverbot auf U-Bahnhöfen gemacht, so Sprecherin Petra Reetz. „Abgesehen vom Gesundheitsaspekt ist das auch für jeden Laien sichtbar. Früher hat man die Gleise vor lauter Kippen nicht mehr gesehen.“ Die Reinigungskosten seien seit dem Rauchverbot deutlich zurückgegangen. Auffallend sei zudem, wie bereitwillig das Verbot akzeptiert werde. „Es gibt kaum Verstöße. Gut mal ein Besoffener, der sich ’ne Zigarette anzündet. Meistens nachts.“ Es gäbe jedoch kaum Stress, wenn die Rauchenden aufgefordert werden, die Kippen auszumachen. WS

Suchende Singles sind die letzte Raucherbastion

Ist Berlin reif fürs Nichtrauchen? Die Frage kann sich nur stellen, wer in festen Händen ist. Singles wissen: Nichts ist erotischer als eine Zigarette. Alles Quatsch? Ein Blick in Bars hilft. Hier tummeln sich die Pistengänger und halten Ausschau nach dem Traumprinzen und der Traumfrau, mit dem oder der sie sich dereinst das Rauchen abgewöhnen wollen. Rauchen oder Nichtrauchen ist also nicht nur eine Klassenfrage, es ist auch eine Frage des Paarungsstandes. Das zeigt auch ein Blick in die „Lust und Liebe“-Anzeigen in der Zitty. Alles wird in dieser Prosa der Knappheit zum Reizwort: Sex, Fliegen, sogar Kuscheln und Sekt schlürfen. Nur das Kürzel NR wirkt weiter wie ein Liebestöter. Dabei wissen auch Herr Pirscher und Frau Pirscherin, dass ein Kuss aufs Rauchermaul so erotisch ist wie Oralsex mit dem Aschenbecher. Aber was hilft schon Erfahrung gegen kulturelle Codierung? Und gegen die wunderbar entspannte Zigarette danach. wera